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»Lichten Band«. Außerdem, wie der treue Sollertinski anmerkte, ließ sich der Einsatz eines Motivs gut mit Raffinesse vereinbaren oder gar mit unverhohlener Obskurität, die Mitja noch immer so amüsant fand. Selbst Wagner war manchmal nicht so übel, und wenn wir seine Leitmotive nehmen und Ringe darum herum legen können, vielleicht ein paar Bauchrednertricks spielen, bis sich niemand mehr vorstellen kann, dass es sich überhaupt um Wagner handelt – was für ein Spaß! So sah Mitja das. Auch wenn es ihn ärgern mochte, sich anderen unterordnen zu müssen, solange er sich Fall- und Hintertürchen in jede Partitur schreiben konnte, damit die Welt unter den Klaviertasten nicht in Vergessenheit geriet, lebte er noch immer nach seinem eigenen Gesetz. In grauer Vorzeit pflegten die Maurer in jeden Tempel, jede Brücke, die sie bauten, ein lebendiges Opfer einzumauern; als er viel älter war, sollte Mitja sich selbst auf genau diese Weise in den Eckpfeiler seines Opus 110 einmauern; aber bis dahin gab es für derartig drastische Maßnahmen keinen Anlass. Vielleicht genoss er nicht das volle Verständnis seines Publikums; aber er erfreute sich noch immer dessen Hingabe, und das ist, jetzt, da ich darüber nachdenke, auch nicht so übel. Wenn ich mich vor dem Andenken Lenins verbeuge und dann erschaffe, was ich will, war ich dann stärker eingeengt als ein Dichter von der Willkür des Reims? Und so konnte Mitja weiter eine ziemlich hohe Meinung von sich haben. Außerdem, dozierte Sollertinski, als Mitja und er betrunken in die Newa pissten, nimm nur M. Zwetajewas »Poem vom Ende«, dessen Sprache sich immerzu um Variationen des Wortes rutschka, Händchen dreht. Dieses sich Drehen war es, was ihn beeindruckte, nicht das Wort rutschka . Fand Mitja nicht selbst, dass Inhalt ohne Bedeutung war? War nicht alles schon gesagt worden? Unsere Aufgabe war, es auf neue Weise zu sagen, mehr nicht. Jetzt hör mal zu! Sollertinski sagte die ersten sechs Strophen auf, in denen die Gefühle der Autorin rekapituliert werden, nachdem sie in Prag von einem Weißgardisten sitzengelassen worden ist. Verbotene Früchte!, rief Mitja begeistert, denn wenn die Zwetajewa mit einem Klassenfeind geschlafen
hatte, dann war sie ein Klassenfeind, was ihre Gedichte umso geheimer, verbotener, aufregender machte. Er würde ihr ganz bestimmt ein Visum ausstellen, damit sie kommen und mit ihm unter den Klaviertasten spielen könnte, wann immer sie wollte … (Außerdem galt sie als gutaussehend, mit halb-lesbischen Neigungen.) Wenn es für die Zwetajewa also statthaft war (ich meine hier im, im, nun ja, im höchsten ästhetischen Sinne), Programmmusik zu verfassen, wie Mussorgski und wahrscheinlich sogar Shakespeare, warum durfte dann unser D. D. Schostakowitsch nicht ein paar Kopeken auflesen und gelegentlich eine Filmmusik komponieren oder in ein Stück Routinearbeit für Orchester ein paar Takte der Marseillaise einbauen, besonders wenn er Sollertinski während der Uraufführung bissige Bemerkungen ins Ohr flüsterte, zum Beweis, dass er seine Schöpfungen in vollem Bewusstsein verstümmelt hatte, weshalb es gar keine Verstümmelung war? O je, ach ja!
Seine bösen Mitschüler, die ihn auf den Fluren des Konservatoriums gequält hatten, Malkos gut gemeinte wichtigtuerische Verschleppungstaktik, diese und andere Faktoren, die er bisher nur isoliert wahrgenommen hatte, legten sich nun als das Gesamtgewebe der Gesellschaft auf ihn und drückten ihn nieder wie Schichten aus feinem Musselin, die ihm immer dichter über das Gesicht fielen. Er wischte sie fort, und es kamen immer neue heruntergewirbelt. Hätte er sich erlaubt, darüber nachzudenken, wo sie herkamen, er wäre vielleicht in Panik geraten. Mir kann er jedenfalls nur leidtun. Alles, was er wollte, war Luft zum Atmen. Niemand findet es verwerflich, Zeit auf die Ausscheidungsfunktionen jenes Körpers zu verschwenden, in dem unsere Kreativität für den Augenblick aufgehoben ist; auch gegen die Fronarbeit des Atmens, die üblicherweise erforderlich ist, um unsere Projekte durchzustehen, lehnen wir uns nicht auf. Musste man es Schostakowitsch da nicht nachsehen, dass er in gewissen, klar umrissenen Grenzen den Wünschen anderer nachkam (besonders da das Komponieren ihm so leicht von der Hand ging), um genug zu verdienen, sich den Rest der Zeit über seinem Vergnügen hinzugeben? Er glaubte noch immer an sich; und wahrlich, die mittelmäßige 2. Sinfonie und die öffentlichen Äußerungen, die
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