Eva Indra
Bis aufs Blut
Als er sich aus der Umklammerung des Papiers befreit hatte, stand Anna wie zuvor und genoss die Landschaft. Sie hatte sein Malheur nicht bemerkt. Sein Blick fiel unwillkürlich auf ihren knackigen Hintern, der gestern nacht immer wieder auf seine Hüftknochen niedergefahren war und er meinte, ihre straffe glatte Haut an seinen Handflächen zu spüren. Die Pobacken bewegten sich leicht, als sie ihr Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte und er spürte das unbändige Verlangen, sie besitzen zu wollen. Jetzt sofort. Ihre Figur war ein Traum und sie verstand es sehr gut, ihre Reize durch ihre Kleidung noch zu betonen. Manchmal war es ihm, als hätte er den magischen Blick, als könne er durch ihre Kleidung hindurch ihren nackten Körper sehen, ihren ebenmäßigen Rücken und die zarte Linie ihres Rückgrats, ihre Schulterblätter und das Grübchen oberhalb ihrer Schultern, wenn sie die Arme hob. Er konnte aber auch die ihm abgewandte Seite ihres Körpers sehen, ihren straffen, glatten Bauch, ihren runden und festen Busen, für den sie keinen BH gebraucht hätte und den sie - davon war er überzeugt - nur trug, weil es viel anregender war, nicht auf Anhieb alles zu sehen. Weil es um so vieles reizvoller war, seine Phantasie spielen zu lassen, nur um dann festzustellen, dass die Realität ihres Körpers jede noch so großartige Phantasie um Längen übertraf. Mein Gott, wie sehr begehrte er diese Frau. Da stand sie und jede Faser seines Körpers verzehrte sich nach diesem verdammten Biest, das dieses unersetzliche Buch einfach in einem Umschlag nach Wien geschickt hatte und außerdem Morde beging.
Wieso konnte sie nicht einfach dick und hässlich sein? Wieso konnte sie nicht eine Nase haben wie Gerard Depardieu? Wieso musste sie so grauenhaft attraktiv sein? Weil sie die Freundin seines Vaters gewesen war, ging es ihm durch den Kopf. Sein Vater hatte nur Freundinnen mit solchen Pos gehabt. Er lachte leise auf bei dem Gedanken, dass es eine kleine aber wohltuende Rache an seinem Vater war, dass er nun mit Anna schlief, dass sie auf ihm einen Orgasmus bekam, ihre Hände in sein Haar krallte und er mit seinen Nägeln ihre gemeinsame Lust auf Annas zuckenden Rücken zeichnete. Und wenn er wirklich den magischen Blick hätte, ging es ihm durch den Kopf, dann könnte er jetzt vielleicht noch den Abdruck seiner Hände von letzter Nacht auf ihren Pobacken sehen, als er sie auf sich gekrallt, als er sich in sie geschoben, als er diese wilde Frau gebändigt und ausgefüllt hatte. Nein, er hatte sie nicht gebändigt, sie hatte sich von ihm bändigen lassen, freiwillig, gewollt und bewusst. Eigentlich war ihm das klar. Und er hätte nicht erklären können warum, aber genau das war es, was ihm so sehr an ihr gefiel. Und auf der anderen Seite war es diese Stärke in ihr, die ihm in der jetzigen Lage so große Schwierigkeiten bereitete. Sie war keine Frau, die er einfach hätte leiten, lenken und besitzen können. Sie war wie ein Schmetterling, dem er mit linkischen Sprüngen und mit seinem lächerlich kleinen Netz hinterher jagte, aber sein Netz war löchrig und sie spielte mit ihm um den Sieg. Sie ließ sich fangen, wenn sie es wollte und sie zog die Fäden in diesem Spiel. Ab und zu gab sie ihm die Zügel in die Hand und machte sich einen Spaß daraus, ihm das Zepter radikal aus der Hand zu reißen, gerade in dem Moment, in dem er glaubte, es sicher zu halten. Sie war ein Biest, ein verdammt tolles Biest.
Er schüttelte sich kurz, riss sein Blick von ihrem Körper los und zwang sich, auf die Karte zu sehen. Unvermittelt musste er feststellen, dass Wien nach wie vor unerreichbar ferne schien. Entmutig, nein, am Boden zerstört faltete er die Karte im Kampf gegen den Wind wieder zusammen und versuchte sich mit dieser Umgebung etwas vertraut zu machen. Aber wie konnte man sich mit weidenden Kühen und frischer Bergluft jemals vertraut machen? Anna hingegen war wieder einmal in eine Art Rausch verfallen. Klar, liebte sie diese Gegend. Sie fand alles faszinierend, was etwas Neues in ihrem Leben darstellte. Alex hingegen, auch durch den Umstand, dass keine einzige Menschenseele weit und breit zu sehen war, die ihnen vielleicht hätte weiterhelfen können, wurde immer unausstehlicher. Anna schien seine schlechte Laune überhaupt nicht zu kümmern, denn sie stand mit weit ausgebreiteten Armen am Rande des Abgrundes und nahm tiefe Atemzüge der sauerstoffreichen Luft. Dass sie
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