Eva Indra
ungleich stärker an ihm nagte, als ein gesprochener Satz, den er hätte zerreden können oder mit einer kurzen aggressiven Bemerkung hätte abschlagen können. Aber hierauf konnte er nicht antworten und so stand dieser blöde kleine Tisch im Raum und bündelte in sich die gesamte Anklage seiner Schwäche. Eigentlich hätte es ihm egal sein sollen, aber es ärgerte ihn trotzdem maßlos.
„Jetzt fährst du!“, sagte Alex mürrisch, als sie gegen sieben Uhr ihre Reise fortsetzen wollten.
„Ich!? Ich kann nicht Auto fahren“, antwortete Anna leicht verlegen.
„Was? Jeder kann Auto fahren!“
„Ich aber nicht!“
„Dann musst du es lernen.“
„Schon möglich, aber sicherlich nicht gerade jetzt um sieben Uhr in der Früh am Arsch der Welt.“
Alex musste unweigerlich lachen. Anna verstand es gut, eine Umgebung so unermesslich stark zu vergöttern, dass man meinen könnte, sie hätte wirklich noch nie einen schöneren Ort in ihrem ganzen Leben gesehen. Wenig später, manchmal sogar nur ein paar Atemzüge danach, konnte sie denselbigen mit Worten wie „Arsch der Welt“ einfach zu einem heruntergekommenen Kaff degradieren. Abgesehen davon, gefiel Alex der Umstand, dass er so kurz nach seinem Bekenntnis, dass er nicht schwimmen konnte, auch an Anna eine wahrhaft lächerliche Schwäche entdeckt hatte. Nichtsdestotrotz wusste Alex, dass es nicht ihre Einzige war und wahrscheinlich nicht die Letzte sein würde, die er auf dieser ermüdenden Reise nach Wien an ihr finden würde. Dessen ungeachtet überreichte er der Tobenden herausfordernd den Autoschlüssel und stieg wortlos auf der Beifahrerseite in das Auto. Wie ein Rumpelstilzchen war Anna zähneknirschend für eine Weile auf dem Parkplatz auf und ab gerannt, bis sie wutentbrannt hinter dem Steuer Platz genommen hatte. Ahnungslosigkeit stand in ihr Gesicht geschrieben, paarte sich erwartungsgemäß mit
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Eva Indra Bis aufs Blut
einer Nervosität, über die sie eigentlich gerne erhaben gewesen wäre und eskalierte, indem sie es nicht schaffte sich anzuschnallen. Der Gurt hatte mit ihrem stürmischen Zug nicht mithalten können und blockierte bockig. Alex hatte sich angeboten ihr zu helfen, indem er sich über sie gebeugt hatte, um den Gurt mit einer sanften, gleichmäßigen Bewegung aus der Blockierung zu ziehen, doch schon wurde er unbarmherzig zurückgewiesen. Er setzte sich auf seinen Sitz zurück und beobachtete sie kopfschüttelnd. Anna starrte entgeistert auf das Armaturenbrett. Sie suchte verzweifelt nach dem Autopiloten und Alex und konnte sich ein höhnisches Lächeln nicht verkneifen.
„Es ist ganz leicht“, ermutigte er sie dann doch, denn schließlich drängte die Zeit. Ohne seine Anweisungen abzuwarten, hatte Anna den Schlüssel in den Starter gesteckt und wild daran gedreht, bis der Lanciamotor tatsächlich wie eine Wildkatze schnurrte, um sogleich im wahrsten Sinne des Wortes abgewürgt zu werden, denn sie hatte es verabsäumt auf die Kupplung zu steigen. Das Auto war einen Satz nach vorne gesprungen und der Motor war stotternd abgestorben. Alex lächelte verstehend, schließlich hatte er unlängst ähnliche Erfahrungen gemacht.
„Das macht nichts! Starte nochmals und steig gleichzeitig auf die Kupplung“, sagte er in einem mitteilsameren Tonfall.
„Kupplung?“
„Das Pedal ganz links.“
Anna blickte skeptisch auf die drei Pedale und stellte ihren Fuß auf die Kupplung. „Für was ist denn das Pedal in der Mitte gut?“
„Das ist die Bremse! Das ganz rechts – das Gaspedal. Also, Kupplung, erster Gang, langsam von der Kupplung steigen und gleichzeitig etwas Gas geben. Okay!?“ „Okay, okay! Ich bin ja nicht blöd!“
Der Wagen setzte sich tatsächlich, wenn auch ruckartig in Bewegung und Anna lenkte heroisch den Wagen im ersten Gang über den Hotelparkplatz.
„Halt an!“, forderte Alex sie auf, als sie das Ende des Parkplatzes erreicht hatten. „Wie war das noch mal?“, stammelte Anna und geriet in Panik.
„Das Pedal in der Mitte! Steig drauf!“
Anna blickte zwischen ihren Beinen hinab zu den Pedalen und nahm dabei ihren Blick von der Straße.
„Steig auf das Pedal, verdammt noch mal! Jetzt!“, rief Alex lauthals auf. Gerade noch rechtzeitig hatte er zu dem Pedal hinunter gegriffen und mit seiner Hand das Pedal gedrückt, bevor sie in die massive Steinmauer, die den Parkplatz umfasste, gefahren wären.
„Autsch!“, schrie Alex aus vollem Leib, denn Anna war ihm mit voller Wucht auf die Hand
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