Eva Indra
Was hatte er nur vor? Alex hatte seinen linken Arm um ihre Schultern gehängt und lenkte sie den Weg ins Hotel zurück, während Anna immer noch krampfhaft überlegte, was hier eigentlich vorging.. Ihr Weg führte sie unweigerlich an Vaclav vorbei, der wie ein Rumpelstilzchen auf der Brücke umherjagte. Er blickte sie ungeniert direkt und äußerst misstrauisch an, als sie an ihm vorbei kamen. Anna sah Vaclav an, dass er sie nur zu gerne noch mal angesprochen hätte, denn er öffnete seinen zahnlosen Mund, als sie an ihm vorbeigingen. Trotzdem schienen ihm nicht die richtigen Worte einzufallen, denn sein Glotzen blieb karpfenhaft bis sie an ihm vorüber waren. Ohne ihre Liebe mimen zu müssen, legte Anna ihren Kopf auf Alex’ Schulter und lächelte Vaclav verlegen entgegen. In Wirklichkeit klopfte ihr Herz so stark vor Aufregung, dass sie kaum noch Luft zum Atmen fand. Vaclavs Blick folgte ihnen und Anna spürte ihn bis ins Innerste ihres hysterischen Leibes. Und dennoch war Anna nur zu deutlich bewusst, dass Vaclav ihnen nicht folgen würde. Schließlich hatte er einen einzelnen Mann auf der Brücke erwartet - nicht ein Liebespärchen.
„Alex! Was soll das alles?“, fragte Anna, als sie aus Vaclavs Sichtweite waren. „Ich hab’s mir einfach anderes überlegt!“, kam es trocken.
Anders überlegt?, wiederholte Anna in ihren Gedanken. Sie waren durch ganz Europa gereist, hatten all diese Strapazen auf sich genommen und nun sagte er einfach
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Eva Indra Bis aufs Blut
„Ich habe es mir anders überlegt.“ Anna glaubte zu träumen, das konnte einfach nicht wahr sein! Glaubte er wirklich, er könnte mit so einer Aussage und dieser oscarreifen Vorstellung auf der Brücke einfach davonkommen? Hatte er den Verstand verloren? „...und das heißt?“, stocherte Anna weiter.
„Das heißt...“, Alex hielt kurz inne. „...das heißt, dass ich dieser Witzfigur im Trenchcoat das Buch nicht geben werde. Im Leben nicht! Was glaubt dieser komische Kauz eigentlich, wer er ist? Wie in einem alten Spionagefilm aus dem Kalten Krieg sieht er aus und denkt, dass er mir Angst einflößen könnte! Ha! Diese Schießbudenfigur!“, sagte Alex bestimmt und lachte höhnisch. „Und außerdem, was sind schon zwanzigtausend Dollar Schulden!“, sagte Alex mehr zu sich als zu Anna. Anna hatte ihm interessiert zugehört. Zwanzigtausend Dollar Schulden hatte er also. Deshalb die Geschichte mit dem Buch. Jetzt schloss sich langsam der Kreis.
„Aber was ist das schon gegen den wahren Wert dieses Buches? Eine halbe Million könnte ich dafür bekommen, wenn nicht mehr. Was meinst du?“
Anna zuckte unwissend die Schultern. Sie hätte selber nur zu gerne gewusst, wie viel dieses Buch eigentlich wert war.
„Vielleicht kann ich es sogar selbst verkaufen. Bei Sotheby's oder Christies, dann würde ich meine Schulden bezahlen und dann...“, dachte Alex laut und brach ab. Anna wartete ungeduldig auf das Ende seines Satzes. „Und dann...“, was meinte er nur damit? Aber ihr fehlte der Mut, ihn zu fragen. Deshalb nahm sie verlegen ihren Blick von ihm und stieg wortlos in den Käfer ein, der aufdringlich nach Lisas Parfüm roch. Ob das Alex ebenfalls aufgefallen war?
Wie zwei Gestrandete saßen sie wieder einmal im selben Boot. Ein Boot, das hier auf diesem Parkplatz, nahe dem Hotel, nicht vor Anker gehen konnte. Aus dem Korona Hotel hatten sie schon frühmorgens ausgecheckt. Das war auch besser so, denn es war anzunehmen, dass Vaclav sich sehr bald dorthin begeben würde, um nach Alex zu suchen. Wenn er nur wüsste, dass er ihm eigentlich schon begegnet war. Es war nicht auszumalen, was passieren würde, sollte er dahinterkommen. Alex befand sich in Gefahr! In Lebensgefahr! Anna kannte dieses Gefühl nur zu gut. Trotzdem hatte sie Alex’ Geständnis und die darauffolgende Erkenntnis, dass sie keine Mörderin war, nicht wirklich erleichtert. Ganz im Gegenteil! Nun war es Alex, um den sie Angst hatte.
Liebe hatte eine unglaubliche Kraft! Sie löste diese unlogische Energie aus, in der einem der andere, den man liebte, wichtiger war, als man sich selbst. Kurzum, für Anna hatte sich die Lage verschlimmert. Und so geriet sie in Panik! Und doch war ihr diese Unruhe nicht anzumerken. Ganz im Gegenteil. Wie gelähmt hockte sie mit eingefallenen Schultern im Auto und starrte geistesabwesend durch die Windschutzscheibe. Alex schien in einer ähnlichen Verfassung zu sein. Auch er wusste offensichtlich nicht wohin ihn seine Reise oder sollte man
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