Eva Indra
schrie mich an. Was ich da mache? Wo du seiest? Ich konnte ihm keine Antwort geben, wie sollte ich auch. Statt dessen fragte ich ihn nach dem Buch und da wurde er so wütend, dass ihm diese Wut die Kraft gab aufzustehen.“
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Eva Indra Bis aufs Blut
Der Kellner hatte inzwischen eigenmächtig nachgeliefert und so trank Alex seinen vierten Schnaps und zündete sich eine neue Zigarette an.
„ und dann... dann kam er plötzlich auf mich zu. Das glaubte ich zumindest, aber in Wirklichkeit wollte er zum Telefon. Ich stand immer noch wie versteinert da und ließ seine Beschuldigungen über mich ergehen. Als er jedoch den Telefonhörer von der Gabel nahm und mir drohte die Polizei anzurufen, geriet ich in Panik. Er hätte alles getan, um mir mein Leben zu versauen und mit seinen Verbindungen hätte er mich glatt wegen Diebstahl oder Totschlag einbuchten lassen, obwohl ich sein eigenes Fleisch und Blut war“, sagte Alex erklärend.
Anna nickte, denn sie kannte Leonard nur zu gut.
„... und dann ging alles ziemlich schnell“, Alex pausierte erneut.
„Ich habe meinen Vater nie leiden mögen. Mehr noch, ich habe ihn eigentlich verabscheut. Seine Überheblichkeit. Seine Arroganz.“ Alex bebte vor aufgestautem Hass.
„Ich verstehe überhaupt nicht, wie du mit ihm hast leben können.“, fragte er mehr sich selbst als Anna und gab ihr auch gar keine Zeit zu antworten.
„...wie auch immer “, sagte Alex „jedenfalls nahm ich den Schürhaken vom Boden auf, dort wo du ihn fallen gelassen hattest und wollte meinen Vater zwingen, den Telefonhörer wieder aufzulegen. Doch weißt du, was er zu mir gesagt hat? „Dazu fehlt dir der Mut und der Charakter!“. Und dann muss mir irgendeine Sicherung durchgegangen sein, denn ich habe mit dem Haken auf ihn eingeschlagen, immer wieder, ich war wie in einem Rausch“, beendete Alex seine Worte.
Die Zigarette zwischen Alex’ Fingern war fast heruntergebrannt, die Asche hing bedenklich, er hatte nicht ein einziges Mal an ihr gezogen.
„... er hatte nicht aufgehört mich fertig zu machen, weißt du. Er hat einfach nicht aufgehört...“, erklärte Alex und Tränen sammelten sich in seinen Augen.
Annas Mund stand weit offen. Alex blickte ins Leere und versuchte sich zu fassen, denn Tränen der Wut und auch der Traurigkeit liefen lautlos seinen Wangen herab. Verschwommen sah Alex, wie Annas Hand die seine suchte. Er kam ihr entgegen und wortlos krallten sich ihre Finger ineinander, so stark, dass es fast schmerzte. In ihren Händen lag diese unermessliche Trauer, die beide empfanden. Die Trauer über den Tod Leonards, aber vielmehr noch die Trauer über den Charakter Leonards, der sie unabhängig voneinander derart in die Enge getrieben hatte, dass sie keinen anderen Ausweg gesehen hatten, als ihn zu töten.
Wortlos hielten sie sich fest, ihre Blicke begegneten sich, noch nie im Leben war Alex einem Menschen so nahe gewesen.
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Eva Indra Bis aufs Blut
Kapitel 18
Grimmige schwarze Gestalten! Sollten diese aus Stein gemeißelten Statuen auf der Karlsbrücke tatsächlich die einzigen Zeugen werden? Sollten sie wahrhaft ihr Publikum darstellen, in diesem dritten und letzten Akt eines Dramas, das sie sogar bis nach Prag verschlagen hatte? Wussten sie gar von ihrem Vorhaben? Tuschelten sie bereits? Am Vorabend hatte irgend jemand ein kleines, diskretes Kuvert unter ihrer Zimmertür hindurch geschoben: 5.30 Karlsbrücke. Vaclaz stand darauf geschrieben. Sie hatten den Umschlag zunächst überhaupt nicht bemerkt, so sehr waren sie in ihrem Liebesspiel und ihrer Leidenschaft versunken. Erst als Anna ins Bad ging, weil sie Alex’ steifen Schwanz in sich nicht mehr wirklich genießen konnte, da er unangenehm auf die übervolle Blase drückte, fiel ihr Blick darauf.
„Welch ein theatralischer Ort der Übergabe!“, war Annas erster Gedanke, als Alex ihr die Nachricht vorlas. In der folgenden Nacht hatte sie kein Auge zugemacht. Ein Grund war ganz sicher das Geständnis, das Alex während des Abendessens gemacht hatte, aber es war auch das Wissen um die Tatsache, dass dies aller Voraussicht nach ihre letzte gemeinsame Nacht sein würde.
„Werde ich dich je wiedersehen?“, fragte sie Alex, als sie am darauffolgenden Morgen stillschweigend auf der Karlsbrücke nebeneinander standen.
„Vielleicht“, hatte er ihr geantwortet, ohne sie dabei anzusehen.
Vielleicht... dieses Wort tat ihr mehr weh, als ein endgültiges „Nein“. Sie war verzweifelt und wäre am liebsten wie ein
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