Eve & Caleb - 03 - Kein Garten Eden
voll rot glasiertem Kuchen und dampfendem Kaffee. Charles hielt weiter meine Hand, während er mich zu der langen Tafel zurückführte, an der der König saß. Mein Vater war standesgemäß gekleidet, die offene Jacke seines Smokings gab den Blick auf einen blutroten Kummerbund frei. An seinem Revers steckte eine Rose, deren Blütenblätter an den Rändern bereits welkten. Moss saß zwei Plätze weiter. Ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Er stand auf, um mich zu begrüßen. »Prinzessin Genevieve«, sagte er und bot mir seine Hand an. »Darf ich um den nächsten Tanz bitten?«
»Ich vermute, Sie wollen mir wieder eine Bemerkung über den schönen Abend abringen«, antwortete ich mit einem nervösen Lächeln. »Also gut. Aber treten Sie mir diesmal nicht auf die Zehen.« Ich legte meine Hand in die von Moss und hielt erneut auf die Tanzfläche zu.
Moss wartete, bis wir uns in der Mitte des Raumes und rund zwei Meter entfernt vom nächsten Tanzpaar befanden, bevor er zu sprechen begann. »Du wirst immer besser«, sagte er und lachte. »Andererseits kann man wohl sagen, du hast vom Meister persönlich gelernt.« Er sah anders aus, kaum wiederzuerkennen. Es brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, woran das lag – er lächelte.
»Stimmt«, flüsterte ich und warf einen prüfenden Blick auf seinen Ärmel, an die Stelle, wo sein Manschettenknopf befestigt war. Ich erwartete, ein kleines Giftpäckchen an seinem Handgelenk zu sehen. Ricin. Moss wartete seit Monaten auf das Mittel, das ihm ein Rebell aus den Außenbezirken beschaffen sollte. »Deine Kontaktperson ist durchgekommen?«
Moss blickte zum Tisch des Königs. Meine Tante Rose unterhielt sich angeregt und wild gestikulierend mit dem Leiter der Finanzabteilung, während mein Vater ihr zusah. »Besser«, entgegnete er. »Das erste Lager ist befreit worden. Die Revolte hat begonnen. Ich bin heute Nachmittag vom Pfad informiert worden.«
Das waren die Neuigkeiten, auf die wir seit Monaten gewartet hatten. Nun, da die Jungs in den Arbeitslagern frei waren, würden die Rebellen auf dem Pfad sie in den Kampf führen. Es gab Gerüchte, dass sich im Osten eine Armee von Verbündeten aus den Kolonien sammelte. Bis zur Belagerung der Stadt konnten es nicht mehr als ein paar Wochen sein. »Eine gute Nachricht. Aber du hast immer noch nicht von deiner Kontaktperson gehört.«
»Sie haben es für morgen angekündigt«, antwortete er. »Ich muss dann nur noch einen Weg finden, um es an dich weiterzugeben.«
»Es wird also wirklich passieren.« Obwohl ich zugestimmt hatte, meinen Vater zu vergiften – ich war die Einzige, die unbewacht Zugang zu ihm hatte –, konnte ich mir nicht vorstellen, was es bedeuten würde, den Plan tatsächlich durchzuführen. Er hatte so viele Menschenleben auf dem Gewissen, darunter auch Calebs. Die Entscheidung hätte mir leichtfallen müssen, ich hätte es mir stärker wünschen müssen. Doch nun, da es unmittelbar bevorstand, breitete sich ein dumpfes Gefühl in meiner Magengrube aus. Er war mein Vater, mein Blutsverwandter, der einzige Mensch außer mir, der meine Mutter geliebt hatte. Lag in dem, was er zu mir gesagt hatte, nicht doch ein Körnchen Wahrheit, selbst jetzt, nach Calebs Tod? War es möglich, dass er mich tatsächlich liebte?
Wir drehten eine langsame Runde um die Tanzfläche, wobei wir versuchten, möglichst leichtfüßig zu wirken. Mein Blick blieb für einen Moment am König hängen, der über etwas lachte, das Charles gesagt hatte. »In ein paar Tagen ist es vorbei«, flüsterte Moss so leise, dass er über dem Klang der Musik kaum zu hören war. Ich wusste, was es bedeutete. Kämpfe entlang der Stadtmauern. Revolten in den Außenbezirken. Weitere Tote. Ich konnte noch immer die flüchtige Rauchwolke sehen, die erschienen war, als Caleb erschossen wurde, konnte noch immer den Gestank des Blutes auf dem Betonboden des Flugzeughangars riechen. Wir waren gefasst worden, als wir aus der Stadt fliehen wollten, nur Minuten bevor wir in einen der Tunnel hatten hinabsteigen können, die die Rebellen gegraben hatten.
Moss sagte, sie hätten Caleb nach seiner Verwundung in Gewahrsam genommen. Der Gefängnisarzt stellte den Tod um elf Uhr dreißig an jenem Morgen fest. Ich erwischte mich immer wieder dabei, wie ich die Uhr zu dieser Zeit beobachtete und darauf wartete, dass sie für eine Minute auf den Ziffern stehen blieb, während der Sekundenzeiger leise seine Runde zog. Caleb hatte so viel Raum in meinem Leben
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