Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
dreht sich im Kreis. Ihr Schatten im Spiegel dreht sich mit. „Ich hab doch schöne Beine, oder?“ Er holt aus. Unterarm backhand zu ihrem Gesicht. Christian Osthof ist sicher ein guter Tennisspieler, lässt sich für seinen Rückhandschlag von seinen Tennisfreunden nach dem Match bewundern. Wieder gewonnen. Trinken wir darauf. Claudia ist es trotzdem gelungen, ein wenig auszuweichen. Der brutale Schatten hat sie nur gestreift. Er grunzt. Wütend.
„Ich zieh mich doch schon um“, sagt ihr Schatten mit einer Stimme, als ob nichts gewesen wäre.
Der nächste Schlag kommt ganz plötzlich. Diesmal fällt sie. „Dafür, dass es dir gelungen ist, mir auch diesen Abend zu vermiesen“, sagt sein Schatten und verschwindet im Arbeitszimmer. Ihr Schatten bleibt liegen. Neben dem Schafwollteppich. Ohne Bewegung. Rettung! Wir brauchen die Rettung!, schreit es in mir. Dann Flimmern und der Film ist aus. Das ist kein Film, Mira, das ist ein Stück Leben. Reales Leben. „Wie im Film“, sagen heute alle, wenn sie etwas erleben, das sie nur im Kino vermuten. Verschobene Wirklichkeiten. Eine einsame Frau nennt ihr Telefon Liebling und lässt es teilhaben an ihrem Leben. Damit irgendwer, irgendwas das sieht, was sie sieht. – Das da ist nicht „wie im Film“, das ist auf DVD gebrannte Realität.
Wie im Fieber lege ich die nächste DVD ein. Diesmal scheint der Anfang in einem anderen Raum stattzufinden. Claudia fliegt förmlich ins und durchs Vorzimmer, rennt direkt auf die Kamera zu, scheint nach draußen zu wollen, fort, ja, flieh, flieh, Claudia, endlich. Eine Schattenhand, die in der Perspektive der Kamera immer länger wird, die sie einholt, sie im letzten Moment an den Haaren zurückreißt, bis sie wieder im Bild ist. Sie strauchelt, schlingt im Fallen beide Arme um ihren Kopf. Er tritt sie zweimal in den Bauch. „Ist ohnehin zu nichts zu gebrauchen“, keucht er.
„Du bist es, der keine Kinder kriegen kann“, heult ihr Schatten und krümmt sich zusammen.
„Du hast wohl nie genug, was?“, brüllt er und tritt noch einmal hin.
Mir ist schlecht. Ich nehme noch einen Schluck Wein, fühle mich wie eine ganz miese Voyeurin. Wie eine Perverse, die sich Gewaltvideos reinzieht, weil ihr das einen Kick gibt. Magensäure steigt die Speiseröhre hoch. Ich weiß, dass es Gewalt in der Familie, dass es Gewalt gegen Frauen gibt. Ich hab sogar vor nicht allzu langer Zeit eine Reportage darüber geschrieben. Aber das … ist etwas anderes. – Und was, wenn es doch nur gespielt ist?, überlege ich für einen Moment. Wenn es irgendeine perverse Inszenierung ist? Vergiss es. Dazu waren die Schläge zu dumpf, die dunkle Flüssigkeit, die ihrem hellen Schattenkopf übers Gesicht rinnt, zu real. Die vierte DVD sehe ich mir nur noch im Schnelldurchlauf an. Ich kann nicht mehr, ich weiß auch nicht, was ich da noch zu entdecken hoffe. Slapstickschatten. Sie hopsen aufeinander zu, voneinander weg, aufeinander zu, verkeilen sich ineinander, der eine Schatten liegt, der andere Schatten tanzt herum, beugt sich hinunter, richtet sich wieder auf, zieht den einen Schatten hoch, gibt ihm einen Stoß, der Schatten fällt, rappelt sich wieder auf, der andere Schatten läuft aus dem Raum. Das Vorzimmer ist leer, nur im Spiegel sieht man, dass der eine Schatten grau an einer Wand lehnt. Bewegungslos jetzt.
Ich stehe auf, gehe auf die Terrasse. Der Westwind hat noch zugelegt. Ich hole tief Luft. Ich muss einen klaren Kopf bekommen. Die Schattenbilder zur Seite schieben. Evelyn hatte die DVDs. Wenn die Polizei sie bekommt, wenn sie gar an Medien gehen, ist es mit Christian Osthofs Karriere vorbei. Aber woher, verdammt, hatte Evelyn diese Aufzeichnungen? Sie hat sie nicht selbst gemacht, das ist klar. Ich weiß nicht einmal, ob sie imstande gewesen wäre, sie gegen Osthof zu verwenden. Kann sein, dass sie ihn seit Huberts Tod gehasst hat. Hans wollte sie bloß nie mehr sehen, aber den älteren Bruder, der immer gegen die Band gewesen war, hat sie gehasst. Die Kamera ist im Vorzimmer montiert. Wer hat es getan? Evelyns Sohn Roger hat eine Elektrikerlehre gemacht. Und immer wieder Gelegenheitsarbeiten. Er könnte eine solche Anlage installieren. Er macht es in Osthofs Auftrag, aber was Osthof nicht weiß, ist, dass Roger eine Vorrichtung einbaut, durch die er mitschneiden kann, was sich im Vorzimmer abspielt. Nur für den Fall der Fälle, dass es etwas gibt, was ihm ein wenig Geld einbringen könnte. Eine Geliebte, die ins Haus kommt. Ein Gespräch
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