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Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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hin, ich sehe seinen schwarz-weißen Schatten groß, er verdeckt sie, nur im Spiegel kann ich schemenhaft Teile ihres Körpers ausnehmen. Einen Arm. Die Hälfte ihres Kopfes. Was ist das? Irgendein seltsamer Experimentalfilm? Wie ist die DVD in Evelyns Haus gekommen? Die Scheibe hat den Originalaufdruck „Der letzte Kaiser“. Gut, man kann wohl die Folie abziehen und auf eine andere DVD kleben. Aber warum? Was soll das alles?
    Claudias Schatten scheint sich zu ducken, sie versucht an ihm vorbei in ein anderes Zimmer zu kommen. Der große Schatten gibt ihr einen Stoß, sie taumelt, kann sich gerade noch fangen, beinahe wäre sie in den Spiegel gefallen. Jetzt ist sie außerhalb des Bildes. Er steht immer noch da, Rücken zur Kamera.
    „Führ dich nicht so auf!“, herrscht er sie an.
    „Aber … ich wollte ja nur … essen …“
    „Was ist mit deinem verdammten Essen? Kann es nicht einmal warten, bis ich mich hingesetzt habe?“ Jetzt verschwindet auch er aus dem Blickfeld der Kamera. Ein dumpfes Geräusch. Dann ein anderes, schwereres. Keuchen. Diesmal scheint sie zu Boden gegangen zu sein. Auf dem Schafwollteppich, dessen Naturfarben ich vor Kurzem bewundert habe, ist ein Bein zu sehen. „Spielen wir jetzt wieder dieses Spiel?“, keucht er. „Wirf dich nur auf den Boden, irgendwann einmal reicht es.“
    Sie rutscht ins Bild, schwarz-weiße Figur auf dem edlen Holzboden, seltsam verzerrt, aber das macht wohl die Kamera, sie kriecht über den Teppich. „Bitte!“
    „Tu nicht so, als ob du das Opfer wärst! Alles schlucken, das geht nicht!“
    „Ich hab doch nur …“, sagt der Bodenschatten.
    Der andere, große, kommt ins Bild, er muss jetzt sehr nahe bei der Kamera stehen, füllt das Bild beinahe aus, ein Rücken in Grau und Schwarz, ein Bein, das nach vorne schnellt, Monsterfußball, Stöhnen. Der große Schatten wird rund, wird selbst zu einem Ball, Christian Osthof scheint sich vornübergebeugt zu haben, ich sehe nur die Bewegungen der Schultern, höre nur die dumpfen Schläge, kein Ton von ihr, erst dann, als er sich wieder aufrichtet, ein Winseln, wie von einem Tier.
    „Hast du dich jetzt wieder beruhigt?“, sagt er mit einer Stimme wie im Interview. Trocken, sachlich. Dann geht er in sein Arbeitszimmer. Sie kauert auf dem Boden. Wischt sich etwas von der Lippe. Versucht aufzustehen. Fällt nieder. Kriecht aus dem Blickfeld der Kamera. Minutenlang sehe ich nichts anderes als das menschenleere Vorzimmer mit dem großen Spiegel. Dann geht Osthof durch den Raum. Aufrecht und geschäftig. Und wenig später nur noch Schneeflimmern.
    Ich habe den Mund offen, atme flach. Kann gar nicht begreifen, was ich da gesehen habe. Der Cut, denke ich dann. Ihr Cut. Sie hat ihn nicht vom Klettern. Wer nimmt so etwas auf? Wie geht das? Alarmanlage. Natürlich. Eine Kamera fürs Vorzimmer. Wer hat sie eingeschaltet? Wer hat die Prügelorgie auf die DVD gebrannt? Wer hat sie zu Evelyn gebracht? Sie hatte nicht einmal ein Gerät, um sie abzuspielen. Vielleicht hat man sie gerade deswegen zu ihr gebracht. Osthof prügelt seine Frau. Ich bin entsetzt, aber mindestens ebenso verwirrt. Und es ist mir peinlich, das gesehen zu haben. Doch ich kann nicht mehr wegschauen und hoffen, dass es nicht so schlimm ist. Warum bleibt sie bei ihm? Warum lässt sie sich das gefallen? – Sollte ich nicht viel eher überlegen, was er für ein Monster ist? Wie es das geben kann, dass einer so etwas tut? Einfach so, nach dem Nachhausekommen.
    Ich stehe mit steifen Beinen auf, nehme die DVD aus dem Player. Aufdruck: „Der letzte Kaiser“. Ich sehe mir die Folie genau an. Die Ränder stehen ein wenig ab. Man hat das Etikett von der Original-DVD abgezogen und auf diese Scheibe geklebt.
    Ich hole die DVD, auf der angeblich ein Kung-Fu-Film ist, aus ihrer Verpackung und schiebe sie ins Gerät. Diesmal lümmle ich mich nicht bequem ins Sofa, ich bleibe ganz vorne auf der Kante sitzen, nehme einen großen Schluck Wein, drücke die Play-Taste. Wieder Schnee. Wieder das Vorzimmer. Diesmal wollen die beiden ausgehen. Er fordert sie auf, ein anderes Kleid anzuziehen, er könne sich nicht mit einer zeigen, die wie ein Flittchen aussehe. Sie lacht und meint, vor Kurzem habe es ihm doch noch so gut gefallen. „Musst du mir immer widersprechen? Kann es nichts geben, wo du nicht recht hast?“, kommt es von seinem schwarz-weißen Abbild. Ich ducke mich. Ich flehe innerlich: Claudia, duck dich auch, renn davon, bitte, nicht noch einmal. Claudias Schatten

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