Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
das alles bloß erfunden.
Wir steigen wieder ins Auto und ich fahre Richtung Lissenberg.
„Was willst du dort?“, fragt Vesna, als sie es bemerkt.
„Ich will die DVDs holen.“
„Ist doch Unsinn. Ich habe sie angesehen. Da ist kein Lottoschein drinnen. Sind ganz normale DVDs. Mit Originalaufklebern. Evelyn wollte Videokamera, hat aber nie eine gehabt. Deswegen die Aufnahmen mit dem Liebling-Telefon.“
Die Herbstsonne scheint golden, als wir uns über den Hügel Lissenberg nähern. Das Laub mancher Weingärten beginnt sich schon orange und rot zu verfärben. Wir sehen drei ältere Leute mit Schiebetruhen bei der Weinlese. Weiter vorne in der Rebzeile steht ein kleiner Traktor mit Lesewagenanhänger. Seit meiner Zeit bei Eva fühle ich bei der Arbeit im Weingarten ganz anders mit. Ein neuer Jahrgang: Was wird er bringen? Ist es gelungen, die ganze Sonne, die Luft, alle Aromen in den Beeren zu sammeln? Wie schmeckt das neue Jahr? Ich öffne das Autofenster und sauge den Duft nach reifen Trauben und grünen Blättern ein.
„Es dauert nur einen Moment“, sage ich zu Vesna, als wir vor dem Häuschen in Lissenberg stehen, und stutze dann. „Vielleicht gehst du doch lieber mit?“ Zweimal schon war jemand da, der nicht gesehen werden wollte. Aber diesmal ist alles ruhig und verlassen. Wir öffnen die Tür, holen die DVDs, legen sie auf die Rückbank des Autos. Und dann geht es tatsächlich zu Eva Berthold nach Treberndorf. Zu einem Abend, an dem uns das Weinviertel zeigt, wie schön es sein kann.
[ 13. ]
Ich verwöhne Gismo mit einigen Blättern von dieser Kalbspariser, die ich nicht mag. Ich habe im „Magazin“ angerufen und mitgeteilt, dass ich leider eine akute Magenverstimmung habe. So sorry, wenn es irgendwie geht, werde ich mich morgen wieder in die Redaktion schleppen. Ich habe einfach keine Lust auf die Untergriffe des aufgeblasenen Chronikchefs. Ich bin ja auch nicht angestellt, sondern habe bloß einen sogenannten fixen freien Vertrag. Ich habe Storys zu liefern, nicht Zeit abzusitzen. Und ich weiß: Morgen kommt Klaus, unser richtiger Chefredakteur, aus dem Urlaub zurück. Ich werde mit ihm beraten, wie wir die Sache mit dem Wirtschaftsmeinungsforscher Osthof anlegen. Die Story mit dem vertuschten Selbstmord will ich ohnehin nicht bringen. Oder jedenfalls noch nicht.
Gut, dass sich Tobler um Roger kümmern will. Céline scheint hervorragend auf sich selbst aufpassen zu können. Ob sie einfach egoistisch ist? Sie muss sich um ihre Gesangskarriere kümmern. Ob aus ihrem Halbbruder noch mehr wird als ein Gelegenheitsarbeiter und Gelegenheitstrinker? Er erscheint mir ziemlich antriebslos. In gewissem Sinn seiner Mutter ähnlich. Oder hatte er bloß bisher keine Perspektive? Wird man antriebslos, wenn man keine Aussicht auf eine bessere Zukunft hat? Was sind meine Pläne? Älter zu werden? Sehr witzig. Das werde ich automatisch. Kann es also wohl nicht sein. Was will ich noch tun? Mir fällt nichts Wesentliches ein. Nennt man das Midlife-Crisis? Vor zwei Jahren hatte ich Angst, einen Herzinfarkt zu bekommen. Dieses Jahr hatte ich Angst, ein Melanom zu haben. Nehmen solche Ängste mit dem Alter zu? Ich sollte etwas ganz Verrücktes tun. Zum Beispiel auf den Mount Everest steigen. Aber ich hasse schon durchschnittliche Bergtouren. Nein, ich sollte etwas Sinnvolles machen: zum Beispiel armen, einsamen Menschen helfen. Ehrlich gesagt ist mir aber momentan nicht besonders danach. – Wie kann es das geben? Einer hat einen Maybach und eine andere keinen DVD-Player? Mira, als ob es um DVD-Player ginge … Evelyn hat nicht einmal ein WC gehabt. Und ihre alte Tante auch nicht.
Oskar kommt, umarmt mich von hinten, küsst mich. Gismo schleckt sich das Maul und starrt auf das letzte Wurstblatt in meiner Hand. „Das nennst du frühstücken?“, sagt Oskar und grinst. Er muss in die Kanzlei. Es geht wieder um diese Fusion zweier großer Getränkefirmen. Sie stehe kurz vor dem Abschluss. Heute sei ein entscheidender Tag. Ich nicke. „Synergien nützen. So heißt das jetzt. Leute einsparen, die dann keine Perspektive mehr haben.“
Oskar sieht mich erstaunt an.
„Na ja, in gewissem Sinn bist du auch ein Krisengewinner.“
„Wenn die Fusion platzt, gehen deutlich mehr Arbeitsplätze verloren, als wenn sie uns gelingt. Ist eben nicht alles so schwarz-weiß, Miramädchen.“
Ich komme mir tatsächlich vor wie ein ungezogenes Kind, aber ich muss noch ein wenig weitersticheln. „Du verdienst durch die Fusion
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