Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
die Nachbarn etwa getratscht? Typisch.
Vesna und ich haben Claudia Osthof angesehen. Und dann hat Vesna gesagt: „Wir haben DVDs. Da ist alles aufgezeichnet. Von Überwachungskamera im Haus.“
„Was?“, hat Claudia mit ganz weit aufgerissenen Augen geantwortet. Ich hatte Angst, sie kippt uns um.
„Kennen Sie die DVDs? Wissen Sie davon?“, habe ich gefragt.
Claudia hat bloß stumm den Kopf geschüttelt.
„Warum Sie haben sich das gefallen lassen?“, hat Vesna gefragt.
„Was hätte ich denn tun sollen? Alles aufgeben? Das schöne Haus? Unser gemeinsames Leben? Ich habe es mit ihm aufgebaut, so einfach ist das nicht.“
„Sie sind jung. Sie haben eigenen Job“, hat Vesna gesagt.
Claudia Osthof hat bitter gelacht. „Eigenen Job? Es ist eine halbe Lehrverpflichtung in Leibesübungen und Geografie. Davon kann ich nicht leben. Und ich habe keine Chance auf eine Ganztagsverpflichtung. Und die Schande … unsere Freunde … wem würden sie glauben? Er würde sagen, ich habe ihn provoziert … Wo sind diese DVDs?“
Sie seien bei Evelyn gewesen, haben wir ihr gesagt, und sie darauf: „Grauenvoll … das kann es alles nicht geben.“ Sie hat den Kopf geschüttelt, immer wieder, dann hat sie mich angesehen und gesagt: „Was wissen Sie denn davon? Es geht Sie gar nichts an.“
Jetzt sitze ich in meinem Dschungelbüro und hoffe, dass ich die nächsten zwei, drei Stunden überstehe und wieder ruhiger werde. Geht es mich wirklich nichts an, wenn Osthof seine Frau prügelt? Jedenfalls geht es mich was an, wenn er Evelyn umgebracht hat. Wie langsam die Zeit vergehen kann. Marion vom Empfang kommt und bringt mir ein Kuvert. Sie bittet um eine Bestätigungsunterschrift und ich fauche: Was sie noch alles wolle? Marion sieht mich entgeistert an, stammelt etwas und verschwindet. Ich bin unmöglich. – Endlich. Anruf aus dem Sekretariat. Der Chefredakteur ist frei. Seine Sitzung mit dem „Magazin“-Management ist vorbei. „Jetzt hat er Zeit fürs Fußvolk“, knurre ich. Ich schiebe zwei Philodendronblätter zur Seite und stapfe durch das Großraumbüro. Ich kann deutlich hören, was einer der zwei jüngeren Redakteure flüstert: „Die hat heute miese Laune, Vorsicht!“ Ich will mich schon umdrehen und ihn zur Rede stellen: Was soll das heißen? „Vorsicht“ ? Als ob ich sie gleich verprügeln würde, nur weil mir danach wäre! Aber ich habe mich wenigstens so weit unter Kontrolle, dass ich nichts sage und weitergehe. Die Chefsekretärin begrüßt mich freundlich, ich versuche eine passabel klingende Antwort herauszubringen. „Dir geht’s noch nicht gut“, stellt sie fest. „Ist eine ziemlich böse Magenverstimmung, oder?“ Was? Wie? Magenverstimmung? Ach so. Ja.
Klaus, unser Chefredakteur, steht bei seinem Schreibtisch. Er hat es bereits in den paar Stunden, seitdem er zurück ist, geschafft, ein heilloses Chaos im Büro anzurichten. Ich mag ihn. Er tut nicht so, als wäre er perfekt. Er kommt her zu mir, umarmt mich, küsst mich auf beide Wangen. Freut sich, mich wiederzusehen.
„Ihr seid mir doch ziemlich abgegangen“, sagt er lächelnd.
„Du uns auch“, erwidere ich. „Dieser Idiot von Chronik…“
Klaus hebt den Zeigefinger. „Mira. Ihr könnt euch nicht ewig …“
Ich seufze. Aus irgendeinem Grund hält Klaus den Chronikchef für einen guten Journalisten. Hat eben doch nicht den vollen Durchblick.
In der nächsten Viertelstunde erkläre ich ihm, dass die Story über den Krisengewinner Osthof eine Wendung nehmen könnte, über die ich allerdings noch nichts erzählen möchte. Der Chefredakteur warnt mich. Der Chronikchef habe ihm schon von der Intervention des Exministers erzählt. Bevor ich da alte Geschichten aufrühre, solle ich jedenfalls mit ihm darüber reden.
„Das mache ich“, verspreche ich besten Gewissens. Ich habe nicht mehr gebraucht als das Okay, weitermachen zu dürfen. Und bis morgen, bis zum Redaktionsschluss, alles offen lassen zu können. Was, wenn uns Osthof austrickst? Ich traue es ihm zu.
„Wenn irgendetwas schiefgeht, dann weiß ich jemand anderen, den man für die Serie der Gewinner porträtieren kann: einen Baumschneider.“
Der Chefredakteur sieht mich verwirrt an.
„Ich lege auf alle Fälle seine Telefonnummer und seine Verbindungsdaten auf meinen Schreibtisch. Er klettert auf Bäume, die man nur mit großem Aufwand fällen könnte, und schneidet sie einfach von oben nach unten, Stück für Stück, ab. Mit einer Spedition ist er pleitegegangen, jetzt
Weitere Kostenlose Bücher