Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
ist einiges nach Mitternacht. Vor uns liegen die letzten fünf Speicherkarten.
„Ich weiß nicht, ob wir es noch schaffen. Ich muss morgen um sieben Putzarbeiten einteilen“, murmelt Vesna. Darüber, was wir gesehen haben, sprechen wir nicht. Wie auch? Was auch? „Ich sage Fran, er soll Programm auf deinen Laptop spielen. Oder ich nehme Karten mit und sehe sie an. Geht aber erst morgen oder übermorgen.“
„Ich will nur noch in die letzte Karte hineinsehen“, antworte ich müde.
„Letzte Karte fehlt, ist in Telefon“, gibt Vesna zurück.
„Nur kurz.“
Vesna nickt und ich schiebe die Karte vom heurigen August ein, gehe gleich auf das letzte File. Evelyn Maier schlurft durch die Küche, sie scheint noch dicker geworden zu sein. „Du willst mich singen hören, Liebling?“, sagt sie. „Ich weiß nicht, ob ich das noch kann. Hab so lange nicht gesungen.“ Das ist mehr an Text, als auf den meisten anderen Videos war. „Aber sieh mich nicht an dabei, ich bin nicht mehr schön“, sagt sie und lehnt das Aufnahmegerät so an den Fernseher, dass es zum Schlafzimmer schaut. Ein Räuspern. Undeutlich. „Du meinst das Lied, das er so gern gehabt hat? Dafür braucht man auch keine Musikbegleitung. Die hab ich nicht mehr. Ich probiere es.“ Stille. Blick auf den Türrahmen. Und dann, von ganz weit entfernt: „Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz …“ Eine Stimme, klar und gebrochen zugleich.
[ 3. ]
Ich stehe vor dem noblen Secondhandladen und überlege. Soll ich mich einfach, quasi undercover, im Laden umsehen, schauen, ob er wirklich funktioniert, vielleicht etwas kaufen, vielleicht Promis entdecken, die ich für meine Story brauchen könnte? Als ob es über nichts Wichtigeres zu berichten gäbe als darüber, ob dieser dumme Laden erfolgreich ist. Seine Lage ist jedenfalls hervorragend, am Ende der Kärntner Straße. Wenn ich mich recht erinnere, war hier einmal eine Buchhandlung. Die Stücke, die ich in der Auslage sehe, sind gar nicht billig. Bluse: achtzig Euro, Jeans: neunzig Euro, Jacke: hundertzwanzig Euro. So teuer kaufe ich selbst Ungetragenes selten ein. Allerdings sieht alles wie neu aus. Und neben den Preisen steht auch ihr Grund: Versace, Fendi, Gucci, Valentino. Die Jacke könnte mir gefallen: schwarz, weit geschnitten, Cordsamt. Genau. So werde ich es anlegen. Ich kaufe mir die Jacke, vorausgesetzt, sie passt, und dann frage ich nach der Chefin. Ich möchte ohnehin keinen Sonderrabatt auf ihre gebrauchten Kleider.
Neben mir sind nur noch zwei Kundinnen im Geschäft. Die eine hat sich in ein hautenges Paillettenkleid gezwängt und sieht aus wie eine Wurst in Faschingsverpackung. Die andere stößt spitze Entzückensschreie aus und umtanzt sie.
Ich sehe mich nach einer Verkäuferin um. Eine Frau um die vierzig, schlank, elegant, in einem schmalen Hosenanzug, der sicher auch von einem Designer stammt. Sie steht hinter einem Marmortisch mit einer alten, sehr schönen Registrierkassa. Wenig später drehe auch ich mich im Spiegel. Die Jacke passt wunderbar. Sie ist sogar etwas zu groß, was aber überhaupt nichts macht, ich trage ohnehin lieber weitere Sachen, und dass sie Größe sechsundvierzig ist, tut meiner guten Laune keinerlei Abbruch. Man weiß ja, wie klein diese italienischen Designer schneiden.
„Sie ist aus Valentinos Serie für die ‚Frau mit Format‘ “, flüstert mir die Verkäuferin zu. „Entzückend.“
Die „Frau mit Format“: Das heißt wohl so viel wie: Mode für Mollige. Eigentlich ist die Jacke gar nicht so schön. Und viel zu weit. Und zu teuer. Wenn auch wie neu.
„Ist Frau Schönfeld da?“, frage ich.
Die Verkäuferin sieht mich verwirrt an. Oder ist sie selbst die Chefin? „Ist etwas nicht in Ordnung?“, flüstert sie mit einem Seitenblick auf die beiden anderen Kundinnen.
„Was soll denn nicht in Ordnung sein?“, frage ich zurück.
„Eben. Nein, es ist sicher alles in Ordnung mit der Jacke. Es sind gebrauchte Originalstücke. Und wir haben bei jedem Kleidungsstück den Namen der Vorbesitzerin. Bei uns gibt es weder gefälschte noch gestohlene Ware.“
Spannend, darauf wäre ich gar nicht gekommen.
Ich lächle die Verkäuferin beruhigend an. „Aber sicher. Es geht um etwas ganz anderes. Ich komme vom ‚Magazin‘ und mache eine Reportage über Leute, die aus der Wirtschaftskrise etwas gemacht haben. Die Gewinner der Krise, sozusagen.“
„Ich könnte Frau Schönfeld anrufen“, sagt sie zögerlich.
„Sie ist nicht hier?“
„Nicht
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