Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
recht. Wir stehen beim Esstisch, Oskar füllt unsere Gläser, und Vesna trinkt schneller, als ich sie jemals habe Wein trinken sehen.
„Sache mit diesem Brand in der Firma nervt total“, erklärt sie. „Dazu kommt neue schlechte Nachricht: Sie wollen das Haus, in dem ich wohne, abreißen.“
Eine Bewilligung zum Abbruch gibt es seit Jahren, aber weder Vesna noch die anderen Mieter haben geglaubt, dass es irgendwann tatsächlich passieren könnte.
„Besitzer will das Haus verkaufen und der Neue will nicht Haus, sondern nur Platz. Müssen dagegen kämpfen.“
Oskar sieht sie nachdenklich an. „Wenn er einen gültigen Abbruchbescheid hat, habt ihr wenig Chancen.“
„Der Bescheid ist alt, wir werden dagegen kämpfen. Sie können nicht Leute einfach auf die Straße setzen.“ Vesna nimmt noch einen großen Schluck.
Ich verziehe mich an die Küchenzeile. Essen hilft gegen Krisen aller Art. Davon bin ich überzeugt. Ich habe einen der großen dünnen türkischen Brotfladen in drei Teile geschnitten, verfrachte das Kalbsfrikandeau nach ganz unten im Rohr, drehe die Grillfunktion an. Ich grille die Brotfladen knusprig, lege Stücke vom Ziegenkäse darauf, dann kommt alles für ein, zwei Minuten noch einmal unter den Grill. Fladen mit warmem Käse auf Teller legen, frischen Rucola darüber, Salz und Pfeffer aus der Mühle und zum Abschluss mit bestem Olivenöl beträufeln.
Oskar und Vesna loben meine Variante einer Ziegenkäsepizza, und Gismo döst zufrieden nach viel zu vielen Oliven auf dem Stuhl neben Oskar. Zuckerbrot sei sicher, dass an dem Fall nichts dran ist, erzähle ich Vesna, auch um sie von ihren eigenen Problemen abzulenken. Oskar wirft mir einen strafenden Blick zu. Zuerst das Essen, dann der Fall. Das war ausgemacht. Aber Vesna scheint mir ohnehin nicht zugehört zu haben.
„Das Dumme ist, dass Brandstifter wahrscheinlich wirklich gekündigte Mitarbeiter waren“, sagt sie. „Würde mir besser gefallen, wenn es aufgeblasener Juniorchef gewesen ist, aber der hat keinen Grund.“ Jana sei hinter ein paar weiteren Zeugen her, die ehemalige Mitarbeiter zum Tatzeitpunkt in der Nähe der Halle gesehen haben sollen. „Manchmal ihr macht diese Arbeit mehr Spaß als studieren“, fügt Vesna rasch hinzu. „Und Gefährliches lasse ich sie nie machen.“
Ich gehe zurück in die Küche und werfe die Nudeln ins kochende Wasser. Ich habe auf dem Markt frische Pappardelle gekauft, sie brauchen bloß drei Minuten. In einer kleinen Stielkasserolle Butter zergehen lassen, viel grob geschnittenen Petersil dazu. Irgendwann bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass sich frischer Petersil hervorragend mit Trüffelöl versteht. Nudeln abseihen, dann zurück in den Topf. Mit reichlich Trüffelöl, der Butter und dem Petersil vermischen, auf im Rohr vorgewärmten Tellern anrichten. Ein Duft, der mir immer wieder das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Klar wäre eine frisch darüber geriebene Trüffel das Tüpfelchen auf dem i, aber dafür ist es noch zu früh im Jahr. Und wenn ich an die armselige Behausung von Célines Mutter denke, weiß ich gar nicht, ob ich wirklich eine möchte.
„Bei uns kann sich keiner einen guten Anwalt leisten – bis auf mich vielleicht“, erklärt Vesna Oskar soeben. „Und ich bin nicht das Problem. Ich kann mir andere Wohnung suchen. Oder doch zu Valentin gehen. Aber die anderen … die haben gar kein Geld, so wie ich am Anfang.“
„Ich werde mir etwas einfallen lassen“, erwidert Oskar und sagt dann: „Mhm, das duftet!“ Und für einige Minuten vergessen wir unsere Probleme und essen und widmen uns ganz der Frage, ob Chili mit Trüffel zusammenpasst und in welcher Form.
Heute ist mir wirklich alles gelungen, wir vertilgen das ganze große Stück Kalbsfrikandeau, Gismo erbettelt ein paar weitere, diesmal warme Oliven. Wir trinken einen leicht gekühlten fruchtigen jungen Zweigelt und sind danach eigentlich schon zu müde, um uns noch die Speicherkarten anzusehen. Mit einem Mal kommt mir die ganze Geschichte sehr weit weg vor. Seltsamerweise ist es Oskar, der uns daran erinnert, was wir eigentlich vorhatten. Er hingegen will schlafen gehen, er muss morgen mit einer Frühmaschine nach Frankfurt. Das Taxi für sechs Uhr ist schon bestellt.
In einer Ecke des großen Raumes, ganz nahe an der Glasfront zur Dachterrasse, steht seit Kurzem mein alter Esstisch. Ich habe ihn vor Urzeiten ersteigert, als Möbel im „Biedermeierlandhausstil“. Keine Ahnung, ob es so einen Stil je
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