Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
irgendwelchen dubiosen Russen oder geschäftstüchtigen Gurus hinterher. Soziales Engagement – ist doch perfekt für die Gattin des geschätzten Wirtschaftsanwaltes. Wo sich doch auch die Frau, die ich immer nur an ihren dicken Lippen erkenne, jetzt „Charity-Lady“ nennt. Brrr. – Kein Grund, zynisch zu sein, Mira. Telefon. Es ist Jana.
Mein Laptop ist in meinem Auto. Mein Auto ist auf meinem Tiefgaragenplatz im 1. Bezirk. Ich schlage vor, dass wir uns in einem Kaffeehaus in der Nähe treffen. Jana meint, sie könne das Leseprogramm ihres Bruders auch gleich in der Tiefgarage auf meinen Computer spielen. Kein Problem, das dauere nur zwei, drei Minuten. Offen gestanden habe sie es ziemlich eilig. Schon fast so gehetzt wie ihre Mutter, denke ich. Ja, in einer halben Stunde in der Tiefgarage.
Es dauert tatsächlich nur wenige Minuten und das Programm ist installiert. Ich erzähle Jana kurz von den Handyvideos und meine, es sei besser, wenn sich Céline nicht alle Aufzeichnungen ansehe.
„Sie studiert Psychologie. Das hält sie schon aus.“
„Evelyn war ihre Mutter.“
Zum Glück habe ich meine gute Kamera im Auto. Digitalgerät mit Spiegelreflexobjektiv. Damit müsste ich fürs „Magazin“ brauchbare Bilder schießen können. Ich stehe auf der schmalen Straße vor Evelyns letzter Behausung und überlege. Von hier sieht sie eigentlich nicht so schlimm aus. Gut, der Putz bröckelt etwas, die beige-graue Fassade wirkt auch nicht eben anziehend. Die Plastikfenster sind eine Katastrophe, aber derartige Fenster gibt es überall. Ich werde in meiner Reportage keine Namen nennen, nicht sagen, wer hier gewohnt hat. Ich habe drinnen schon Fotos gemacht, vom Plastikgartensessel vor dem Tisch mit der Mikrowelle, vom kleinen Fernseher mit dem Kabel, das in einem viel zu großen Loch in der Decke verschwindet. Von der Lache im Badezimmer, die inzwischen noch größer geworden ist. Das meiste Wasser scheint freilich im Boden zu versickern. So gesehen hat ein Lehmboden mit etwas Plastik darauf auch seine Vorteile. Wieder hatte ich das Gefühl, nicht ausreichend Luft zu bekommen. Hat das mit dem Unbehagen zu tun, in ein anderes Leben einzubrechen? Es ist kein Leben mehr. Das macht es allerdings nicht besser. Die behelfsmäßige Eingangstür, grünes Gestrüpp, das Plumpsklo im späten Nachmittagslicht. Noch einige Fotos von der Vorderfront mit dem verwilderten Gärtchen, dann werde ich die Gelegenheit nützen und meine Winzerfreundin Eva in Treberndorf überraschen. Es liegt höchstens zwanzig Autominuten von hier. Ich weiß, dass auch ihr Leben kein idyllisches ist, aber ab und zu ist es zumindest nahe dran. Bei einem Glas Wein im Innenhof sitzen, ihren freundlichen Schäferhund Reblaus zu unseren Beinen …
„Die is’ tot! Was woll’n S’ da?“, schreit eine Frauenstimme und reißt mich aus meinen Träumen. Vor dem Nachbarhaus, auch bei Weitem keine Villa, aber ein solides Haus mit sorgsam gepflegtem Garten, steht eine alte Frau in einer braun geblümten Kleiderschürze. Sie hat die Hände in die Hüften gestemmt. Die Nachbarn. Dass wir daran nicht gedacht haben. Auf der einen Seite des Häuschens ist ja auch nichts als ein verwachsenes Stück Land. Und vis-à-vis steht ein hoher Holzzaun. Ich gehe auf die Frau zu.
„Wollen Sie das Haus kaufen? Da tät ich Ihnen dringend abraten.“
„Na ja. Ich überlege noch. Natürlich müsste man es abreißen“, erwidere ich.
„Das geht aber nicht so einfach. Das da ist eine ruhige Gegend. Wir brauchen keinen Baulärm.“
Charmante Person. „Ich glaube ohnehin nicht, dass ich es kaufen werde. Wie war denn Ihre Nachbarin so?“
Ich habe die Frau richtig eingeschätzt. Sie öffnet den Mund und holt tief Luft. „Man soll ja über Tote nichts Schlechtes sagen …“
Ich nicke verständnisvoll. „Aber …“
Das reicht. „… aber das war eine, die braucht keiner als Nachbarin. Nur eingesperrt hat sie sich. Kein Wunder, die war eine … ich kenn ja nicht einmal das Wort dafür, eine mit Männerbesuch, wenn Sie verstehen. Und gesoffen hat sie auch, davon war sie so dick. Keine muss so dick sein, sage ich immer. Noch dazu, wo mir die Frau, die mir das ‚Essen auf Rädern‘ bringt, erzählt hat, dass sie von der Sozialhilfe gelebt hat. Hat wahrscheinlich alles verfressen, nichts für ungut.“
„Männerbesuch?“, frage ich. Gut möglich, dass mit der Alten nur die Fantasie durchgeht, jedenfalls wär mir nicht aufgefallen, dass drüben im Haus Flaschen mit Alkohol
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