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Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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Speicherkarten durchsehen wollen, wenn es so wäre?“, frage ich. „Hast du Zeit? Wir können sie uns heute Abend ansehen.“
    Céline schüttelt den Kopf. „Ich muss zurück zur Probe. Keiner weiß, wie lang die dauert. Und dann muss ich noch etwas für meinen Vermieter fertig machen. Er war Direktor einer Versicherung und macht im Ruhestand noch so einiges. Ich erledige für ihn die Computerarbeit und Ähnliches, wie früher seine Sekretärin. Dafür zahle ich keine Miete. Uni und Proben und Mamas Tod und die Arbeit für ihn gehen sich fast nicht aus. Dabei sollte ich ausreichend schlafen. Das ist wichtig für die Stimme.“
    Bei aller Trauer über den Tod ihrer Mutter: Sieht so aus, als wäre die Stimme das Wichtigste für Céline. Unter den gegebenen Umständen wohl ganz gut so.
    Ich gönne mir einen Umweg über den Brunnenmarkt. Seit einiger Zeit ist er mir deutlich lieber als der Naschmarkt. Der wird immer mehr zu etwas für Touristen. Auf dem Naschmarkt werden die meisten Stände inzwischen von denselben Großhändlern beliefert. Auf dem Brunnenmarkt ist das noch anders. Die Stände sind individueller, das Gemüse wirkt frischer, jedenfalls aber ist es billiger. Und in die kleinen Läden und Lokale zu gehen, die rund um den Markt entstanden sind, hat etwas von einem Kurzurlaub. Ostanatolien neben marmeladigem Altösterreich und daneben Istrien. Ich betrete das kleine istrische Spezialitätengeschäft. Ich habe nicht viel Zeit, zu kochen, und sehe mich um. Der Ziegenkäse sieht hervorragend aus. Vor allem aber haben sie hier dieses großartige istrische Trüffelöl, keine chemische Aromakomposition, sondern eines, das tatsächlich etwas mit Trüffeln zu tun hat. Ich weiß schon, was es heute Abend geben wird: warmen Ziegenkäse auf Fladenbrot, Trüffelnudeln, danach ein Stück rosa gebratenes Lamm mit Kirschparadeisern und schwarzen Oliven.
    In der türkischen Fleischhauerei sind sie leider beinahe ausverkauft. Lammkoteletts gibt es keine mehr, auch keinen Lammschlögel. Dafür aber ein Stück Kalbsfrikandeau. Okay, umdisponieren. Kalb statt Lamm, Beilagen gleich, zum Würzen noch einen großen Strauß frischen Rosmarin. Ich nehme ein Taxi und lasse mich und meine Einkäufe bequem nach Hause fahren.
    Dort angekommen, füttere ich zuallererst Gismo mit einigen schwarzen Oliven. Anders hätte ich auch keine Ruhe. Oliven versetzen sie in Entzücken und sie merkt immer, wenn ich welche mitbringe. So gut verpackt können sie gar nicht sein.
    Dann brate ich das Kalbsfrikandeau in Oskars schwerer Pfanne rundum gut an, gebe gegen Ende einige Rosmarinzweige dazu. Das Rohr ist auf siebzig Grad vorgeheizt. Angebratenes Kalbfleisch mit dem Rosmarin, ganzen Kirschparadeisern und großen schwarzen Oliven in eine Porzellanform geben, mit grobem Salz und Pfeffer würzen. Jetzt kann ich den Braten für die nächsten Stunden im Rohr vergessen. Er wird langsam rosa durchziehen. – Wie Evelyn wohl gegessen hat? In ihrer improvisierten Küche, die gleichzeitig Vorraum und Esszimmer war, ist nur ein Mikrowellenherd gestanden. Kein Backofen, keine Herdplatte. Ich koche gern auch für mich allein, aber die Vorstellung, tagein, tagaus allein zu essen: deprimierend. Ich kann mir denken, dass so ein Alltag jede Kraft raubt. Jeden Glauben, dass Träume Realität werden können. Den Glauben, dass es noch etwas zum Träumen gibt.
    Oskar kommt gegen halb neun, er freut sich über den Duft aus der Küche und darüber, dass Vesna zum Essen kommt. Dass wir uns die Speicherkarten ansehen wollen, freut ihn weniger, aber wir haben gelernt, unsere Kompromisse zu finden. Wohl die beste Voraussetzung für eine Beziehung, die länger halten soll als einen kurzen Lebensabschnitt. Zuerst das Essen, dann der Fall der toten Sozialhilfeempfängerin, meint Oskar. Ich stimme zu. Könnte auch auf den Appetit schlagen, diese einsamen Handyvideos zu sehen. Sollte Evelyn doch umgebracht worden sein: Warum hat der Täter die Speicherkarten nicht mitgenommen? Wusste er, dass ihm das Mobiltelefon mit der letzten Karte reichte? Ist es ein Zeichen dafür, dass es gar nicht um diese Aufnahmen ging?
    Als Vesna mit ihrem Laptop kommt, haben Oskar und ich schon ein erstes Glas Weißburgunder getrunken. Ist an sich nicht meine Lieblingsweinsorte, aber dieses Jahr ist Eva Berthold da etwas ganz Besonderes gelungen. Oh ja, heute könne ihr ein Glas Wein nicht schaden, stöhnt Vesna. Es sei ein irrer Tag gewesen. Lieber Rotwein für sie? Nein, nein, ihr sei auch weißer

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