Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Irrer und Halbirrer zu dirigieren, das wäre nicht mein Ding. Ich will schreiben. Ich will herausfinden, was läuft. Da und dort. Ab und zu. In erster Linie will ich einen netten Job und zwischendurch meine Ruhe. Zeit für Abendessen mit Oskar. Zeit, um wieder einmal ein paar Tage ins Veneto zu fahren. Oder vielleicht gar in die Karibik.
Ich rufe Vesna an. Sie behauptet, dass ihr Hirn ganz in Ordnung sei, keinerlei Vakuum. Wie sich das denn anfühle. Dabei hat sie mindestens so viel Champagner getrunken wie ich. Und sie ist schon wieder auf der Jagd nach denen, die ihren Mann aus den Bäumen holen wollen. Sie sei nah dran, flüstert sie. Und wenn ich heute nichts zu tun habe, dann wäre es total nett, wenn ich mich um Evelyn kümmern könnte. Klingt so, als ob sie lebte.
„Dein Hans will wohl Ergebnisse, was?“, säusle ich ins Telefon.
„Ist nicht ‚mein Hans‘. Aber ist netter Mann. Auch wenn er ein paar Jahre jünger ist als ich.“
„Wer weiß, was der mit seiner Charmeoffensive bezweckt“, gebe ich zu bedenken.
„Mache ich praktisch. Nehme ich Charme und denke ich über Offensive nach“, kontert Vesna. „Wobei ich nicht glaube, dass er was mit Tod von Evelyn zu tun hat.“
„Ich war mir gestern ziemlich sicher, dass er etwas verschweigt.“
Stille in der Leitung. „Haben wir beide Champagner getrunken. Aber ich gebe zu, den Eindruck habe ich auch gehabt.“
Droch arbeitet noch an einem bösen Leitartikel über die Regierungsklausur. Da darf ich ihn nicht stören. Ich greife vorsichtig an meine Beule. Sie ist kaum noch zu spüren. Und ihr Grünblau ist einem dezenteren Gelb gewichen. Lässt sich inzwischen ziemlich gut überdecken.
Gerichtsvollzieher: Mit ihm hat Evelyn sicher öfter zu tun gehabt. Aber auch in letzter Zeit? Ein Kontakt, an den wir nicht gedacht haben? Sie haben Evelyn den Strom abgedreht. Kommt da der Gerichtsvollzieher? Erstaunlich, wie wenig ich über solche Sachen weiß. Ich bin ein Wohlstandskind, behütet aufgewachsen, danach ausreichend ausgebrochen, und wenn ich zwischendurch nur ganz wenig Geld zum Leben hatte, so war das meine freie Entscheidung. Ich konnte davon ausgehen, dass es nicht so bleiben würde. Jedenfalls hätte ich mich, wenn es hart auf hart gekommen wäre, immer auf meine Eltern verlassen können. – Ich sollte sie dringend wieder einmal anrufen. Wer sagt, dass man sich um seine Eltern nur kümmern sollte, wenn es ihnen schlecht geht? Ich werde sie besuchen fahren. Dieses Wochenende schon. Nein, besser nächstes. Oder nach dem Geburtstag von Vesna. Dann bleibt uns allen ein wenig Zeit, zu planen.
Ich rufe Céline an. Sie ist gerade auf dem Weg zu einer Schauspielstunde. Es sei wichtig, auch Theater spielen zu können, es reiche nicht mehr, bloß zu singen und dabei zum Bühnenrand zu starren. Auch wenn sie sich mehr für die Sparte Lied als für die Sparte Oper interessiere.
„Kommt der Gerichtsvollzieher, wenn einem der Strom abgeschaltet wird?“, frage ich sie.
„Hast du nicht rechtzeitig gezahlt?“, kommt es erschrocken zurück.
Ich lache. Meine Güte, welche Sorgen ich nicht habe. „Wir haben einen Abbuchungsauftrag, soviel ich weiß. Nein, wie war das bei deiner Mutter?“
„Die brauchen keinen Gerichtsvollzieher, um einem den Strom abzudrehen. Aber über die Jahre hinweg war er bei uns ziemlich häufig zu Gast.“
„Könntest du mir seinen Namen geben?“, bitte ich sie.
„Warum? Der weiß nichts über Mama, dem war alles egal, außer was er wegtragen durfte. Außerdem kenne ich nur den aus Wien, in Niederösterreich sind andere zuständig. Keine Ahnung, ob sie es dort bei ihr probiert haben. Schulden gehabt hat sie schon noch, soviel ich weiß. Von der Wohnungseinrichtung in Wien. Und bei einem Versandhaus.“
Oskar hilft mir, den Namen des Gerichtsvollziehers herauszufinden, der für den Fall Evelyn Maier zuständig gewesen ist. Ob er für die Nachbarin auch unter „Männerbesuch“ gefallen ist? Sicherlich. Ich erreiche Karl Wojta bei Gericht. Ja, er habe gehört, dass Evelyn Maier tot sei. Der Akt wandere in so einem Fall weiter, zur Verlassenschaft. „Unwahrscheinlich, dass wir da noch Geld sehen.“
„Hat sich die Frau doch bösartigerweise durch einen Sturz auf den Ofen dem Geier entzogen“, fauche ich.
„Entschuldigen Sie, so habe ich das nicht gemeint. Sie sind eine Verwandte? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
Das klingt eigentlich einigermaßen menschlich und so erzähle ich ihm ganz kurz vom Zweifel am
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