Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
einen Maybach leisten kann … Er scheint ein hervorragendes Personengedächtnis zu haben. Kaum einer, den er nicht mit Namen angesprochen hat. Für Vesna und mich gab es Küsschen – sieht so aus, als würde er sich wirklich freuen, uns zu sehen.
Ich treffe jemanden, den ich eigentlich kennen sollte, und finde während unseres Small Talks doch nicht heraus, wer er ist. Mein Personengedächtnis ist eben nicht so toll. Ich sehe mich um. Vesna steht beim Grill-Pick-up. Wer glaubt, dass beim US-Fast-Food weniger Menschen sind als bei den anderen Wagen, der täuscht sich. Die meisten wollen Original-Burger und Hotdogs. Tobler ist auf die Ladefläche eines Oldtimer Lastwagens geklettert und hält eine kurze Begrüßungsrede. Die Party habe nichts weiter zum Anlass, als dass er gerne Freunde einlade. Und er hätte keine weitere Bitte an alle, als dass wir den Abend genießen. Tobler hat viele Freunde, hundertfünfzig sind es sicher. Oder kann es sein, dass da doch der eine oder andere gute Kunde oder Geschäftspartner mit dabei ist? Der Autohändler sagt den Star des Abends an. Ein Entertainer, der angeblich in Las Vegas große Erfolge gefeiert hat. Der alternde Sänger begegnet mir seit einigen Jahren immer wieder: bei der Eröffnung der Flughafenfiliale einer Bäckereikette, auf dem Sommerfest des Bundeskanzlers. Drei junge Männer klettern auf den Lkw, decken ihre Musikinstrumente ab. Dann erscheint der Star: weißer Anzug, weißer Hut. Sie haben ihm ein Treppchen gebracht, die Band setzt ein und er schreitet auf die Ladefläche des Oldtimers, als wäre er auf der Showtreppe des größten Casinos der Welt. Er macht eine ausholende Geste und legt los. Samtstimme und hie und da ein Ton, der erkennen lässt, dass der Mann doch schon so gegen siebzig sein muss. Ich wippe mit. Egal ob der Typ in Las Vegas oder in Simmering gesungen hat: Er ist gut. Er hat den Swing. Ich habe gar nicht bemerkt, dass Tobler neben mir steht. Er schnippt mit den Fingern.
„Spielen Sie eigentlich noch Schlagzeug?“, rufe ich in sein Ohr.
Er schüttelt den Kopf. „Ich hab es seit damals nicht mehr angerührt.“
„Sie sollten es wieder tun“, sage ich. „Gibt es eigentlich Platten von den ‚Three Friends‘?“
„So weit haben wir es nie gebracht. Hubert hatte Tonbänder. Aber sie sind weg, nehme ich einmal an.“
Ein Mann um die sechzig, er wirkt etwas aufgedunsen, steuert auf den Autohändler zu. Neben ihm eine Frau mit blondem Pagenkopf, auch nicht mehr ganz jung, aber jedenfalls deutlich jünger als er und – um es in der Autosprache zu sagen – recht gut erhalten. „Herr General“, ruft Tobler.
„Darf ich dir meine Frau vorstellen?“, erwidert der so Angesprochene. Ist er wirklich ein General? Einer vom Bundesheer oder von der Polizei? Wie soll man einen General in Zivil überhaupt erkennen? Tobler begrüßt die Frau General formvollendet mit Handkuss. In der folgenden Stunde esse ich gemeinsam mit Vesna ein wunderbares T-Bone-Steak, muss feststellen, dass der Wein untrinkbar ist – ich sollte Tobler ganz dringend von meiner Winzerfreundin Eva erzählen –, halte mich an den Champagner, versuche Vesna davon zu überzeugen, dass Austern fantastisch schmecken und spiele weiter munteres Personenraten. Der Star des Abends hat nach einer halben Stunde ausgesungen, jetzt gibt es als Hintergrundmusik amerikanische Hits der Fünfzigerjahre. Es ist ein schräger, ausgelassener, harmloser Abend. Ich fühle mich wohl und habe den Eindruck, dass es den meisten hier so ergeht. Ich verliere Vesna aus den Augen, genehmige mir noch zwei Austern und ein Glas Champagner und finde sie schließlich an eine amerikanische, mit alten Filmplakaten beklebte Litfasssäule gelehnt. Eng neben ihr, direkt neben James Dean in seinem Sportwagen, Hans Tobler. Sie flirten. Eindeutig. Tobler hat ein Champagnerglas mit einer dunklen Flüssigkeit in der Hand, Vesna eines, in dem das drin sein dürfte, was hineingehört. Sie stoßen miteinander an. Kichern ein wenig. Ich sollte meine Freundin da loseisen. Offensichtlich, dass sie zu viel Champagner intus hat. Ich strebe mit einem breiten Lächeln auf die beiden zu.
„Ich heiße Hans“, sagt Tobler zu mir, und Vesna kichert schon wieder. Dann eilt er davon, um mir ein Glas zu holen, damit wir Bruderschaft trinken können. Ganz nüchtern bin ich auch nicht mehr. Probiert er uns irgendwie einzukaufen? Ruhig zu stellen? Er zahlt dafür, dass Vesna die Ursache für den Tod von Evelyn klärt. Aber vielleicht
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