Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
Unfalltod und dass wir eben den wenigen Sozialkontakten nachgehen, die Evelyn in letzter Zeit noch hatte.
„ ‚Sozialkontakt‘, so nennt man uns selten“, murmelt der Gerichtsvollzieher. „Ich habe sie nicht gut gekannt.“ Trotzdem hat er nichts dagegen, mich nach Dienstschluss zu treffen. Wir verabreden uns bei einem Heurigen in der Nähe von Korneuburg.
Ich nütze die Zeit und rufe wieder einmal bei der Polizeidienststelle an, die mein Mobiltelefon hat. Wenn sie mir nicht bald sagen, welche Spuren sie gefunden haben, wenn sie das Gerät nicht bald rausrücken, dann schalte ich Zuckerbrot ein. Ich höre ihn allerdings schon, wie er spottet, dass zu viel telefonieren ohnehin schädlich sei.
Erstaunlicherweise erreiche ich heute einen der beiden Beamten, die damals bei Evelyns Haus Spuren genommen haben. Mein Mobiltelefon? Das werde noch dauern … das habe man weitergeschickt … das behandle eine andere Einheit.
„Das bedeutet, man hat Spuren gefunden“, schließe ich messerscharf.
„Man hat noch gar nichts gefunden. Zumindest habe ich noch keine Nachricht, dass es spurentechnisch behandelt wurde.“
„Wie bitte?“
„Seit der neue Erlass draußen ist, nach dem wir auch bei kleineren Einbrüchen Spuren nehmen müssen, gibt es einen ziemlichen Rückstau. Tut mir leid.“
„Und dass die Täter inzwischen in Timbuktu sein könnten, nimmt man in Kauf?“
Schweigen in der Leitung. Ich verabschiede mich trotzdem einigermaßen höflich und rufe dann Zuckerbrot an. Er sei in einer Besprechung, teilt mir seine Sekretärin mit Hang zu Chlorophyll mit. Ich schicke ihm eine E-Mail und mache mich auf den Weg Richtung Korneuburg.
Ich hätte den Heurigen beinahe nicht gefunden, bin durch einen Ort, von dem ich noch nie etwas gehört habe, und eine schmale Kellergasse hinauf. Einige der Kellereingänge sind alt und verfallen, eher wie Eingänge zu Höhlen, darüber wölbt sich die Erde, wächst hohes Gras. Andere sind sorgsam in Schuss gehalten, ihre hölzernen Türen gepflegt. Nur wenige Vorbauten, im Weinviertel „Kellerstöckl“ genannt. Kopfsteinpflaster. Und ganz am Ende der Gasse einige Autos und das Schild: „Joschi-Keller“. Eine alte Trauerweide steht neben der Straße. Im Sommer muss man darunter wunderbar sitzen können. Vor dem weiß gestrichenen Kellerhäuschen stehen auch jetzt zwei Heurigengarnituren, aber gegen Abend ist es in der zweiten Septemberhälfte schon zu frisch für draußen. Ich gehe hinein. Fünf Tische, eine steile Treppe, die nach unten geht, eine kleine Vitrine, dahinter eine rundliche ältere Frau. Vier Tische sind besetzt. Frauen und Männer, die trinken und reden und lachen. Niemand scheint alleine da zu sein, auf mich zu warten. Man nimmt mich freundlich interessiert wahr. Dieser Heurige ist mit Sicherheit ein Geheimtipp, da verirrt sich keiner aus Wien her. Es gibt ja auch keinerlei Hinweisschilder. Ich setze mich an den leeren Tisch. Ein dünner Mann mit flinken Augen kommt. Ich bestelle einen Gespritzten, stehe auf und beäuge das Buffet. Viel gibt es nicht, dafür sieht alles selbst gemacht aus. Kein Vergleich zu den Monsterheurigen in Grinzing und ähnlichen Wiener Touristenecken, bei denen man inzwischen auch Steak und Meeresgetier bekommt. So wie der hier soll ein Heuriger sein. Für mich jedenfalls. Liptauer, Quargelaufstrich, Bratlfett, Kellergatsch – eine Art köstlicher Fleischsalat zum Aufstreichen – und zu meinem Entzücken auch Nuriaufstrich. Okay, die pikanten Sardinen kommen von weit her und aus der Dose, aber sie hat das Weinviertel irgendwie adoptiert und adaptiert. Den Nuriaufstrich essen sogar Alteingeborene, die sonst alles aus Fisch verweigern. Weiß ich aus Treberndorf von Eva. Leberwurst, Blutwurst in ganz dicken Kringeln, so gibt es sie nur, wenn sie in Naturdarm gefüllt ist. Presswurst und kaltes Schopfbratl vom Schwein. Ich bestelle mir einen gemischten Aufstrichteller, dazu Schwarzbrot, vom großen Laib geschnitten. Sollte der Gerichtsvollzieher nicht kommen, ich kann damit leben. Diesen Heurigen muss ich dringend Oskar zeigen. Und Vesna.
Demnächst einmal mache ich bei uns daheim einen Heurigenabend. Passt nicht perfekt in eine Wiener Dachterrassenwohnung, ich weiß, aber ist mir egal. Mich hat der Ehrgeiz gepackt, so gute Aufstriche hinzukriegen wie diese hier. Ich werde ein paar Freunde und Freundinnen einladen, hundertfünfzig werden es nicht sein, eher zehn, aber dafür wird kein Einziger aus Geschäfts- oder ähnlichen Gründen
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