Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
studiert an der Musikuniversität.“
„Ich weiß natürlich noch, dass mein Bruder in einer Band gespielt hat. Ich bin einige Jahre älter als er, ich hatte ganz andere Freunde. ‚Evelyn‘, sagten Sie …“
„Sie war die Freundin Ihres Bruders.“
„Dann wissen Sie wohl auch, dass mein Bruder damals ums Leben gekommen ist“, kommt es scharf zurück. „Was will sie jetzt, diese Evelyn?“
„Sie will gar nichts mehr. Sie ist vor Kurzem gestorben“, sage ich.
„Dann hat sie fünfundzwanzig Jahre länger gelebt als mein kleiner Bruder.“
Ich sehe ihn interessiert an. Hat er sich zu Beginn tatsächlich nicht an sie erinnert? Der Wirtschaftsmeinungsforscher deutet meinen Blick falsch. Er versucht ein Lächeln. „Tut mir leid“, sagt er so verbindlich wie möglich. „Aber man kommt nie darüber hinweg, wenn der jüngere Bruder stirbt. Und die Band hatte wohl einen gewissen Anteil daran, dass es dazu gekommen ist.“
„Wie meinen Sie das?“
„Die Leute in der Band waren nicht der richtige Umgang für ihn. Der eine war Mechaniker und sie hatte, glaube ich, gar keine Ausbildung. Hubert hatte alle möglichen sozialromantischen Flausen im Kopf. Ich bin sehr für das Soziale, wie Sie ja wissen. Aber dieses Umfeld hat ihm einfach nicht gutgetan.“
„Er ist an einem Häcksler gestorben, nicht an Sozialromantik.“
„Sie haben geprobt und zu viel getrunken. Vielleicht haben sie auch irgendwelche anderen Substanzen zu sich genommen. Das Probelokal war ganz nahe. Mein Bruder ist durch unseren großen Park heimgegangen und da ist es dann passiert. Grauenvoll.“
„Kennen Sie Hans Tobler?“
„Warum fragen Sie? Er war der Mechaniker, jetzt hat er einen Autohandel. Mein Vater hat ihm hin und wieder ein Auto abgekauft. Um ihn zu unterstützen.“
Hat für mich nicht so ausgesehen, als hätte Hans Tobler in den letzten zwanzig Jahren Mitleid nötig gehabt. Anders als Evelyn.
„Natürlich ist es tragisch, dass Ihre Bekannte ums Leben gekommen ist. Sie kann noch nicht alt gewesen sein. Ich habe sie seit damals nicht mehr gesehen“, fügt er hinzu. Seltsam, denke ich, er fragt nicht einmal, woran sie gestorben ist.
Chromblitzende amerikanische Straßenkreuzer aus den Fünfzigerjahren. Tobler hat die große Ausstellungshalle extra für heute Abend umgestaltet. Stehtischchen und Barhocker aus den Fünfzigern, poppige Autos aus der damaligen Zeit. Die Kellnerinnen tragen Petticoats, die deutlich über dem Knie enden. Auf den Ladeflächen mehrerer Oldtimer Pick-ups ist angerichtet: US-Fast-Food auf dem einen Wagen: Burger und Hotdogs und Cola und Pizzaschnitten. Auf dem anderen kann man sich mit Hummer und Garnelen und Roastbeef und Champagner verwöhnen. Und auf einem dritten gibt es Wein und Bier und einen Monstergrill: Würstchen und Steaks und Hühnerteile. Um den überlebensgroßen Schokobrunnen mache ich einen Bogen. Allein vom Geruch der warmen Schokolade verklebt sich mein Magen.
Vesna und ich stehen mit Champagnergläsern an einen weißen Mustang gelehnt und beobachten, was sich rund um uns abspielt. Wunderbarer Ausflug in eine Art Auto-Disneyland. Tobler scheint höchst unterschiedliche Menschen zu kennen. Wir sehen Männer mit zu viel Gold um den Hals und protzigen Uhren. Ist das alles echt? Was macht es für einen Unterschied? Frauen mit zu vielen Gesichtsoperationen, prallen Wangen, großen Augen, altem Hals, hochhackigen Schuhen. Es muss ein anstrengendes Leben sein. Eine ist im Partnerlook mit ihrem Hund erschienen: Sie trägt Stilettos mit Leopardenmuster und eine eng anliegende Jacke aus Leopardenfell. Und wieder die Frage: Ist es echt? Ihr Hund ist winzig, kurzhaarig, hat ebenso dünne Beine wie sein Frauchen und ebenso große Augen in seinem Schrumpfkopf. Er trägt ein Leopardenmäntelchen. So als wollte er sagen: „Ich bin ein wildes Tier!“ Nimmt ihm leider keiner ab. Daneben Durchschnittstypen, B-Promis, ein paar Künstler, ein unscheinbarer Mann mit zwei kleiderschrankartigen Männern, die nicht von seiner Seite weichen. „Amerikanischer Botschafter oder Mafiaboss?“, flüstere ich Vesna zu.
„Amerikanischer Staatssekretär“, flüstert sie zurück. Ich lache. „Ist wahr“, sagt sie. „Ich habe heute gelesen, er ist in Österreich. Ich habe ein Bild gesehen.“
Als wir hereingekommen sind, ist Tobler in der Nähe des Eingangs gestanden und hat seine Gäste begrüßt. Freundlich, routiniert. Beiger Leinenanzug, zweifärbige Schuhe, die aussehen wie handgefertigt. Wer sich
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