Evelyns Fall - ein Mira-Valensky-Krimi
dabei sein. Droch wird kommen, Vesna sowieso und ihre Zwillinge auch, Eva aus dem Weinviertel, natürlich werden wir Carmen einladen, „Freunde und Familie“, heißt es immer, vielleicht auch diesen Autohändler. Nein, der ist kein Freund, der ist so etwas wie ein exotischer Bekannter, allerdings könnte er den Abend sicher durch interessante Anekdoten bereichern. Ein Mann tippt mir auf die Schulter, ich habe ihn gar nicht kommen sehen. Eher etwas kleiner als ich, rundlich, Jeans, blaue Strickjacke, gemütliches Gesicht.
„Klar ist da noch Platz frei“, murmle ich, noch in Gedanken, wie viele Freunde ich nun wirklich habe und wie wenig Zeit ich mit ihnen verbringe.
„Karl Wojta“, sagt der Mann.
Ich schlucke den Bissen hinunter. „Entschuldigung, ich war gerade in Gedanken. Der Heurige ist großartig.“
Der Gerichtsvollzieher, der eher aussieht wie ein niederösterreichischer Bauer, setzt sich und lacht. „Gehört meinem Schwager. Und ist wirklich ein Geheimtipp.“ Er deutet auf meinen Aufstrichteller. „Kosten Sie den Kellergatsch. Er ist noch wirklich mit Geselchtem und nicht mit irgendwelchen Wurstresten gemacht. Maria macht alles noch selbst, so wie sie es bei meiner Mutter gelernt hat.“
„Sie stammen aus einer Bauernfamilie?“
„Ja, unser Hof war gar nicht weit von da. Im Nachbarort. Aber er hat zu wenig abgeworfen. Maria hat dann den Joschi Gruber geheiratet, sie haben einen Weinbaubetrieb. Und eben diesen kleinen Heurigen.“ Seine Schwester Maria winkt von der kleinen Vitrine aus und deutet auf Blutwurst und Leberwurst. Der Gerichtsvollzieher bäuerlicher Herkunft nickt.
Wenig später stehen ein Gespritzter und ein Teller mit zweierlei Würsten vor ihm. „Sie halten ein paar Schweine. Seit einigen Jahren eine alte Sorte, diese schwarze Mangalitza-Rasse, die im Freien sein kann. Der Heurige hat so lange offen, wie noch etwas von dem da ist, was Maria aus den Schweinen gemacht hat.“
Ich habe eigentlich gar keine Lust, mit ihm über Evelyn zu reden. Viel lieber möchte ich wissen, wie man vom Bauernsohn zum Gerichtsvollzieher wird und ob die Leberwurst so gut schmeckt, wie sie aussieht.
„Evelyn Maier …“, sagt der Gerichtsvollzieher dann zwischen zwei großen Bissen. „Unwahrscheinlich, dass von ihren Erben was zu holen ist.“
Gemütlichkeit und Brutalität. Liegen die nicht öfter beieinander? „Geschichten aus dem Wienerwald“: Gibt es in dem Stück nicht einen grausam-gemütlichen Fleischhauer? „So ein Pech“, sage ich reichlich patzig.
Gerichtsvollzieher Wojta starrt mich an. „Na ja, ich dachte, das wollten Sie wissen. Ist eben mein Job, mich um solche Dinge zu kümmern. Frau Maier hatte noch Schulden und hatte keinerlei Vermögenswerte, da nimmt niemand das Erbe an und wir schauen durch die Finger.“
„Wann waren Sie zum letzten Mal bei ihr?“
„Das ist noch nicht so lange her, vielleicht vor einem Monat. Es war eher ein Routinebesuch, ich wusste ja schon, dass sie nichts hatte. Aber wir müssen eben nachsehen.“
Nein, für einen Gerichtsvollzieher hat es bei Evelyn tatsächlich nichts zu holen gegeben. Und für sonst jemanden auch nicht. Außer vielleicht … „Satellitenschüssel und Fernseher: Wird so etwas gepfändet?“
Wojta mit der bäuerlichen Vergangenheit wiegt den Kopf. „Ein kleiner Fernseher wird inzwischen nicht mehr gepfändet, bei der Satellitenanlage ist das so eine Sache. Steht eigentlich auf unserer Liste, aber mit Billiganlagen können wir keinen sinnvollen Erlös erzielen, also wäre es reine Boshaftigkeit, jemandem so etwas wegzunehmen. Und in diesem Fall hatte ich ohnehin eine schriftliche Erklärung, dass die Anlage der volljährigen Tochter gehörte. Viel mehr Unterhaltung als durch ihren Fernseher hatte Frau Maier ja auch nicht, kam mir vor.“
„Welchen Eindruck hat Evelyn Maier beim letzten Mal auf Sie gemacht?“, frage ich.
Der Gerichtsvollzieher trinkt den Gespritzten aus und bittet um ein Glas Veltliner. „Üblicherweise hat sie mich hineingelassen, ist ruhig irgendwo gesessen, während ich mich umgeschaut habe. Sie hat mich nie beschimpft, Sie haben keine Ahnung, was einem bei dieser Arbeit alles begegnet. Sie hat höchstens gesagt: ‚Ich hab ja nix‘, und wenn ich gegangen bin, ist sie mit zur Tür geschlurft, hat sie hinter mir zugemacht und den Riegel vorgelegt. Sie hatte gar kein richtiges Schloss.“ Er nimmt zwei große Schluck aus seinem Weinglas. „Den sollten Sie probieren, ist wirklich gut. Ich gehe
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