Evernight Bd. 2 Tochter der Dämmerung
feuerbeschienenen Umrisse von Evernight im Rückspiegel immer kleiner wurden und schließlich ganz verschwanden.
Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Treffpunkt um ein abgelegenes Lagerhaus handelte, das zur Hälfte mit riesigen Kisten vollgestellt war. Ich hatte keine Ahnung, was da drin sein mochte, und ich glaube, dem Schwarzen Kreuz ging es nicht anders. Es war einfach nur ein Ort, den die Jäger benutzten, um sich zu sammeln und neu zu formieren.
Dana hielt sich ein Kühlpack ans Gesicht, und Eduardo war damit beschäftigt, eine Schnittwunde an Kates Schienbein zu versorgen. Die meisten Jäger schwiegen, entweder aus Erschöpfung oder aus Trauer, sobald sie ihre Waffen gesäubert und repariert hatten. Aber ich wusste, dass alle glaubten, sie hätten einfach nur getan, was getan werden musste. Ich wollte ihnen erklären, wie unrecht sie doch hatten und dass sie angelogen worden waren, aber ich war mir sicher, dass sie nicht auf mich hören würden.
Lucas und ich setzten uns auf eine der Kisten und lehnten uns mit den Rücken aneinander. Raquel stand neben uns, eingewickelt in eine Decke, die einer der Jäger ihr gegeben hatte. Langsam wiederholte sie: »Die ganze Schule war voller Vampire. Die ganze Zeit über.«
»Mehr oder weniger«, sagte ich. »Es gab auch menschliche Schüler. Du warst nicht die einzige. Vic zum Beispiel.«
»Und Ranulf«, sagte sie. Ich schüttelte den Kopf, und Raquel starrte mich mit offenem Mund an. » Ranulf? Und … Balthazar … war auch ein Vampir?«
Ich nickte. Lucas sagte: »Und alle Lehrer. Bis vor einigen Jahren gab es ausschließlich Vampire in Evernight.«
»Warte, warte, warte. Das kann doch nicht stimmen. Bianca, deine Eltern sind doch auch Lehrer.«
In meiner Erschöpfung wäre ich fast mit der Wahrheit herausgeplatzt, wenn Lucas nicht warnend meine Hand genommen hätte. Zu enthüllen, dass ich ebenfalls zum Teil eine Vampirin war, und das inmitten von Jägern des Schwarzen Kreuzes, könnte die letzte Tat in meinem Leben sein.
Eduardo beantwortete die Frage für mich. »Wir glauben, dass Bianca als Kind entführt wurde. Wahrscheinlich wurden ihre wahren Eltern ermordet, sodass die Vampire leichtes Spiel hatten.«
Raquel presste sich beide Hände vor den Mund. »Wann hast du das denn herausgefunden? O Bianca. Das tut mir leid. Das tut mir so leid.«
Lucas mischte sich ein, damit ich nicht zugeben musste, wie lange ich schon Bescheid wusste.
»Ich bin letztes Jahr nach Evernight gekommen, um herauszufinden, warum sie Menschen als Schüler aufnehmen.«
»Ach deshalb bist du in all diese Kämpfe geraten!«, sagte Raquel. »Gott, und ich dachte immer, dass du ein aufbrausender Hitzkopf wärst.«
»Oh«, sagte Lucas. »Sehr schmeichelhaft.« Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören.
»Es tut mir wirklich leid, dass ich das von dir gedacht habe. Offenbar bin ich nicht besonders gut darin, Leute richtig einzuschätzen.« Raquel ließ sich auf die nächstbeste Kiste sinken und schüttelte noch immer ungläubig den Kopf. Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck von Verwirrung zu Wachsamkeit, und als sie mir in die Augen sah, bemerkte ich, dass sie neue Erkenntnisse gewonnen hatte. »Das Vampir-Ding erklärt die Sache mit Erich, oder?«
»Ja.«
Sie krümmte sich zusammen. »Ich wusste es, dass etwas an dieser Schule nicht stimmte.«
»Ich glaube nicht, dass sie in absehbarer Zeit wieder menschliche Schüler aufnehmen werden«, sagte Kate. »Oder überhaupt irgendwelche Schüler - bei dem Schaden, den wir angerichtet haben. Was bedeutet, dass wir Evernight von der Liste der Dinge streichen können, wegen derer wir uns Sorgen machen müssen.«
Vielleicht konnten sie das. Ich konnte es jedoch nicht. Ich wusste, dass ich dorthin würde zurückkehren müssen, um herauszufinden, wer noch lebte und wer gestorben war, wie es meinen Eltern ging und noch viele Dinge mehr. Aber wie könnte ich mich wieder in Evernight blicken lassen, wo doch Mrs. Bethany jetzt wusste, dass ich mich das ganze Jahr über mit Lucas getroffen hatte? Vermutlich würde sie mich dafür verantwortlich machen und mir vorwerfen, dass ich keine unwichtige Rolle dabei gespielt hatte, Charitys Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, was alles ins Rollen gebracht hatte. Ich wusste gut genug, was für eine tödliche Gefahr Mrs. Bethany darstellen konnte. Nein, ich würde warten müssen.
»Mrs. Bethany hat überlebt.« Kate zuckte zusammen, als Eduardo den Verband an ihrem Bein glattstrich.
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