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Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte

Titel: Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Autoren: Claudia Gray
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aufgehoben«, sagte er.
    »Danke schön«, antwortete ich ohne große Begeisterung. Aber ich beeilte mich, es wieder an meinem Handgelenk zu befestigen. Seit meinem Tod hatte ich herausgefunden, dass eine Handvoll Dinge, an denen ich zu Lebzeiten ganz besonders gehangen hatte, dazu geeignet waren, mir genügend Kraft zu verleihen, sodass ich wieder eine körperliche Gestalt annehmen konnte. Dieses Korallenarmband gehörte dazu, ebenso wie eine Brosche aus Jetstein, die in Lucas’ Tasche steckte. Beide Schmuckstücke waren aus Material gefertigt, das einst lebendig gewesen war; das war etwas, das wir miteinander teilten. Wenn das Armband mir seine Kraft verlieh, dann spürte ich, wie die Schwerkraft wieder für mich Geltung hatte, und ich musste mich nicht mehr länger anstrengen, eine sichtbare Gestalt anzunehmen.
    Balthazar stieß einen tiefen Seufzer aus, nahm zwei Gläser aus dem Regal neben dem Waschbecken und schenkte Ranulf und sich selbst etwas vom Wein ein. Einen Augenblick später sagte er zu mir: »Kannst du noch Wein trinken? Überhaupt irgendetwas zu dir nehmen?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete ich. »Jedenfalls scheine ich weder Nahrung noch Wasser zu brauchen.«
    Der bloße Gedanke daran, etwas zu kauen, verursachte mir nun leichte Übelkeit, stellte ich fest – ein weiterer Unterschied zwischen mir und der Welt der Lebenden.
    Es gibt Besseres, als zu essen und zu trinken , sagte Maxie. Immer stärker konnte ich inzwischen ihre Anwesenheit spüren, fast wie eine Art kühlen Punkt unmittelbar neben mir. Balthazar und Ranulf bemerkten nichts. Bist du denn gar nicht neugierig, was das sein könnte?
    Ich schenkte ihr keinerlei Beachtung, denn ich hatte nur Augen für Lucas, der so blass und mitgenommen auf dem Fußboden lag. Ein dünner Ring von Bluttropfen war um den Einstich des Pflocks herum zu erkennen, sonst nichts: ein unverkennbares Anzeichen dafür, dass sein Herz für immer aufgehört hatte zu schlagen. Seine markanten Gesichtszüge, die mich immer so angezogen hatten – sein ausgeprägter Kiefer, seine hohen Wangenknochen –, traten nun noch deutlicher hervor. Er sah so gut aus, dass es ebenso beeindruckend wie unnatürlich war.
    In diesem behelfsmäßigen Apartment im Weinkeller hatten wir die letzten Wochen unseres Lebens verbracht, und es war die einzige Zeit, die uns vergönnt gewesen war, in der wir einfach nur beisammen sein konnten, ohne dass uns irgendwelche Regeln eingeschränkt hatten.
    Wir hatten versucht, Spaghetti auf einer Kochplatte zuzubereiten, hatten uns alte Filme auf dem DVD-Player angeschaut und gemeinsam in einem Bett geschlafen. Manchmal war uns unsere Situation so hoffnungslos vorgekommen, aber ich wusste nun, dass es unsere schönsten gemeinsamen Stunden gewesen waren. Vielleicht würden es die schönsten Stunden überhaupt bleiben.
    Wir sind noch beieinander, erinnerte ich mich selbst . Du musst daran glauben, dass wir alles schaffen können, solange wir uns haben . Dieser Glaube war noch nie wichtiger gewesen, aber er hatte sich auch noch nie zerbrechlicher angefühlt.
    Ich hörte, wie draußen Autotüren zugeschlagen wurden. Offenbar war es Vic gelungen, die Polizei wieder loszuwerden. Ranulf und Balthazar prosteten sich gegenseitig zu, aber vielleicht erhoben sie auch auf Vic das Glas. Wenige Sekunden später war ein Klopfen an der Tür zu hören, und Balthazar öffnete sie, um Vic hereinzulassen.
    »Diese Typen wollten mir die Geschichte mit einem Überfall hier aufs Haus einfach nicht abnehmen«, sagte er. Vic blieb auf der Türschwelle stehen, anstatt einzutreten. »Offenbar haben meine Nachbarn sie noch vor mir angerufen und behauptet, hier würde eine wilde Party stattfinden, auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie das Ganze nach einer Party ausgesehen haben könnte. Sie haben sogar darauf bestanden, dass ich in ein Alkoholröhrchen puste – Mann, ey.« Vic sah Lucas auf dem Boden liegen. »Was habt ihr denn getan?«
    »Der Pflock kann ihm nichts anhaben«, erklärte Ranulf. »Wenn wir ihn herausziehen, wird Lucas wieder aufwachen. Willst du ein Glas Wein?«
    Vic schüttelte den Kopf. Er stand dort in seinem T-Shirt und in Jeans, fühlte sich offenbar unwohl in seiner Haut und starrte auf Lucas hinunter. »Er wird doch nicht … Er kann doch nicht …«
    »Er wird dich nicht angreifen«, unterbrach ihn Balthazar. »Im Augenblick kann Lucas sich nicht bewegen. Und wir werden den Pflock nicht entfernen, ehe wir etwas zu trinken
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