Evernight Bd.1 Evernight
mich auf die anscheinend unvermeidliche Panikattacke vor, als wir unser Ziel erreicht hatten: eine Haltestelle in den Vororten der Stadt und in einer, soweit ich das jetzt schon beurteilen konnte, eher heruntergekommenen Gegend. Es war spät, und wir waren ausgelaugt. Aber ich fürchtete mich nicht. Ich war eher wie betäubt.
»Wir sollten uns überlegen, was wir heute Nacht tun wollen.« Das waren die ersten Worte, die Lucas mit mir sprach, seitdem wir den Bus verlassen hatten. Wir hielten uns noch immer an den Händen umklammert, und so bahnten wir uns den Weg durch verschlagen aussehende Typen. Sie trugen Klamotten, die zu groß waren, lachten zu laut und starrten jedem Auto entgegen, das um die Straßenecken bog. »Es wird bis morgen früh dauern, ehe uns jemand abholen kommt.«
»Uns abholen kommt? Wer wird uns denn abholen?«
»Jemand vom Schwarzen Kreuz. Als ich in den Antiquitätenladen eingebrochen bin, habe ich das Telefon benutzt und eine Nachricht hinterlassen, dass ich auf dem Weg hierher bin. Ich werde mich noch mal melden und ihnen sagen, wo sie uns einsammeln können, sobald wir genauer wissen, wo wir eigentlich sind.«
»In dieser Gegend hier will ich lieber nicht so lange herumlaufen.« Ich warf einen misstrauischen Blick auf die eingeschlagenen Fenster ringsum.
»Bianca, denk doch mal nach.« Lucas blieb abrupt stehen und sah - zum ersten Mal in dieser Nacht - wieder wie sein altes überhebliches Selbst aus. »Wer sollte denn hier wohl Angst haben? Wir oder die?«
Warum sollten sich diese Leute vor mir fürchten? Dann dämmerte es mir - der Witz meines Lebens: Ich bin eine Vampirin .
Ich begann zu kichern, und Lucas stimmte ein. Als ich die Kontrolle verlor und mir Tränen in die Augen stiegen, schlang er die Arme um mich und drückte mich fest.
Ich bin eine Vampirin. Jeder hat Angst vor mir. Vor MIR. Und Lucas? Er ist der Einzige, der die Vampire das Fürchten lehren kann. All diese ruppig aussehenden Leute… Wenn sie wüssten… Sie würden alle um ihr Leben rennen.
Als ich wieder atmen konnte, trat ich einen Schritt von Lucas weg und versuchte, unsere Situation ruhig zu beurteilen. Es war schwer, die Gedanken auf etwas anderes als auf Lucas zu lenken, und darauf, wie wenig wir wussten, was wir tun sollten. Das fluoreszierende Licht der Straßenlaternen nahm Lucas’ Haar jeden Glanz, sodass es einfach nur braun aussah. Vielleicht war es die Erschöpfung, die sein Gesicht so bleich und abgespannt wirken ließ. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie müde ich selber aussah.
»Es ist beinahe Mitternacht. Wo wollen wir denn übernachten?« Meine Wangen brannten, als mir auffiel, was ich da gerade gesagt hatte und was sehr wie eine Aufforderung geklungen hatte, die Nacht gemeinsam zu verbringen. Aber waren wir nicht schließlich auch zusammen davongelaufen? Vielleicht war es ganz natürlich, dass Lucas annahm, wir würden miteinander ins Bett gehen. Vielleicht wäre diese Annahme unter normaleren Umständen auch für mich ganz natürlich, denn es hatte Zeiten gegeben, da wollte ich so verzweifelt bei Lucas sein, dass ich überhaupt nicht schlafen konnte. Heute jedoch, zusätzlich zu dem, was alles bereits geschehen war, beunruhigte mich diese Aussicht und machte mich nervös.
Lucas schien unsere missliche Lage im gleichen Moment wie mir klarzuwerden. »Ich habe meine Kreditkarte nicht mit. Sind ja doch eher überstürzt aufgebrochen. Und wir haben gerade alles Bargeld ausgegeben, das ich noch in der Tasche hatte.«
»Das Einzige, was ich mithabe, ist eine Taschenlampe.« Die Leuchtbuchstaben von Geschäften, die noch geöffnet hatten, waren so hell, dass ich die Augen zusammenkneifen musste. »Wir hätten besser mit einer Zwille und einer Packung Kekse aufbrechen sollen.«
Der Regensturm, der in Riverton getobt hatte, hatte es bis hierher nicht geschafft, sodass wir uns keine Sorgen machen mussten, nass zu werden, während wir herumliefen und versuchten, uns etwas einfallen zu lassen. Wir waren durchgefroren, erschöpft und gehemmt, und es gelang uns nur mit mäßigem Erfolg, ganz lässig zu tun, als wir an Bürgschaftsagenturen für Strafgefangene und an Schnapsläden vorbeikamen. Die Nacht zusammengerollt auf verschiedenen Bänken in einem ungepflegten Park zu verbringen - mannomann, das war nicht gerade eine erhebende Aussicht.
Um mich zu trösten, fuhr ich mit der Hand an mein Sweatshirt, an die Stelle genau unter dem Schlüsselbein, wo ich an diesem Morgen meine Brosche befestigt
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