Evernight Bd.1 Evernight
beiseitelassen, dass es äußerst merkwürdig wäre, wenn ein Hamburger einen Angriff starten würde - was bedeutet, dass wir eine ganze Menge Merkwürdiges beiseitelassen - nein, ich schätze, ich würde ihn nicht essen.«
»Und das ist der Grund, warum die meisten Vampire keine Menschen angreifen. Menschen schlagen zurück. Sie schreien. Übergeben sich. Wählen neun-eins-eins auf ihren Handys. Auf die eine oder andere Art verursachen Menschen mehr Schwierigkeiten, als sie es wert sind. Es ist viel einfacher, das Blut beim Schlachter zu kaufen oder kleine Tiere zu essen. Die meisten Leute gehen immer den leichtesten Weg, Lucas. Ich weiß, dass du zynisch genug bist, um wenigstens das zu verstehen.«
»Angenehm und praktisch. Ich wette, so haben es dir deine Eltern auch verkauft. Aber du hast noch nie gesagt, dass es falsch ist, Menschen zu töten.«
Ich hasste es, dass er die Erklärung richtigerweise meinen Eltern in den Mund gelegt hatte und nicht als meine eigene akzeptierte. Ich hasste es, dass ich nur ihre Worte weiterverbreitete. »Das versteht sich doch von selbst.«
»Nicht bei den meisten Vampiren, nein, da versteht es sich keineswegs von selbst. Was du sagst, macht schon Sinn, aber es ist nicht so beruhigend, wie du denkst. Einer von uns beiden liegt falsch damit, wie viele Vampire Menschen töten, aber ich weiß sicher, dass viele Leute getötet werden. Ich habe es geschehen sehen. Wie steht’s mit dir?«
»Ich nie. Niemals. Meine Eltern… mögen so etwas nicht. Sie würden nie jemandem etwas tun.«
»Nur, weil du es noch nicht gesehen hast, heißt das doch nicht, dass es nicht wahr ist.«
»Und du hast es gesehen, ja?«, fragte ich angriffslustig.
Mir rutschte das Herz in die Hose, als er nickte. Und dann fügte er das Schlimmste hinzu, was er hätte sagen können: »Sie haben meinen Vater geholt.«
»O mein Gott.«
Lucas starrte aus dem Fenster und war noch angespannter als vorher. Wir mussten nun schon ganz nah an der Überführung sein. »Damals war ich noch nicht so weit; ich war nur ein kleines Kind. Ich kann mich kaum an ihn erinnern. Aber ich habe auch zusehen müssen, wie Vampire andere Menschen angriffen, und ich habe die Leichname gesehen, die sie zurückgelassen haben. Es ist entsetzlich, Bianca. Entsetzlicher, als du es dir vorstellst, wahrscheinlich sogar schrecklicher, als du es dir auch nur ausmalen könntest. Deine Eltern haben dir nur die hübsche Seite gezeigt. Aber es gibt auch eine hässliche.«
»Vielleicht hast du immer nur die hässliche zu sehen bekommen. Vielleicht bist doch du derjenige, der kein ausgewogenes Bild hat.« Mein Magen rumorte heftig, und meine Finger verkrampften sich auf der Rückenlehne des unbesetzten Sitzes vor mir. Würden wir gleich um unser Leben kämpfen müssen? »Wenn meine Eltern die ganze Wahrheit vor mir versteckt haben, dann hat vielleicht auch deine Mutter dir nicht alles erzählt.«
»Mum redet nichts schön. Das kannst du mir glauben.« Lucas atmete aus. »Mach dich bereit.«
Der Bus nahm eine scharfe Kurve und rüttelte die wenigen Reisenden dabei ordentlich durch. Hinter dem Regen konnte ich verschwommen die Lichter der Überführung auf uns zukommen sehen. Ich spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit und versuchte, Umrisse oder Bewegungen auszumachen, irgendetwas, das uns verriet, dass dort oben Mrs. Bethany auf uns wartete.
Lucas holte tief Luft. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.«
Zwei Sekunden später rumpelte der Bus unter der Überführung hindurch. Nichts geschah. Mrs. Bethany hatte die anderen doch in die Stadt geführt.
»Wir haben es geschafft«, flüsterte ich.
Lucas schloss mich in die Arme. Als er an meiner Schulter zusammensackte, bemerkte ich zum ersten Mal, wie erschöpft er war und wie viel Angst er die ganze Zeit über gehabt hatte. Ich fuhr ihm mit den Fingern durch die Haare, um ihn zu beruhigen. Irgendwann später würden wir uns immer noch auseinandersetzen und über Evernight, das Schwarze Kreuz und alles, was uns sonst noch voneinander trennte, sprechen können. Im Augenblick zählte nur, dass wir in Sicherheit waren.
Als ich das letzte Mal in Boston gewesen war, war ich noch richtig klein. Ich erinnerte mich vage daran, wie es war, in einer Stadt und nicht mehr auf dem Land zu sein, an den Lärm und Schmutz, an Asphalt und Ampeln statt Erde und Bäume, und überall Lichter, die hell genug waren, um immer und überall die Sterne verschwinden zu lassen. Deshalb bereitete ich
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