Everybodys Darling, Everybodys Depp
deutlich länger da als ich«, sagte Tina. »Aber mal ehrlich: Kannst du dir vorstellen, wie sie ein Team leitet und dem Kunden Paroli bietet, wenn er was Unsinniges verlangt? Jeder macht doch mit ihr, was er will. Mir kommt sie vor wie ein Wackelpudding.«
Rolf lachte. »Schöner Vergleich. Irgendwie mag ich sie ja – sie ist halt so eine Liebe. Sicher, bisschen langweilig vielleicht. Aber es ist für uns alle von Vorteil, dass sie die lästigen Arbeiten immer so schnell an sich reißt. Nur ernst nehmen kann man sie halt nicht. Die fällt doch sofort um, wenn sie einer schief anguckt. Ich erwarte schon, dass man auch mal Rückgrat zeigt, egal, ob Mann oder Frau.«
»Meine Rede. Ich lass’ mich nicht so leicht unterkriegen. Sicher, das bedeutet jetzt mehr Arbeit, aber wenn ich Unterstützung brauche, habe ich ja immer noch Moni ...« Tina und Rolf sammelten ihre Kopien ein und schlenderten lachend hinaus.
So ist das also! Monika schlägt mit der Faust auf den Schreibtisch und beißt sich auf die Lippe. Da opfert man sich auf, schlägt |28| sich die Wochenenden um die Ohren, ist hilfsbereit, kollegial und nett zu allen, will es immer allen recht machen – und was ist der Dank? Wackelpudding! Anscheinend ist sie in der Agentur weder beliebt, noch wird sie respektiert. Jetzt geht ihr auch auf, dass sie die Kollegen immer zu ihrem Geburtstag einlädt, selbst aber nie dazu gebeten wird. Und was besonders schmerzt: Die Agenturchefin Petra hat ihr diese Entscheidung noch nicht einmal persönlich mitgeteilt.
Everybody’s Darling, everybody’s Depp. Monika ist auf allen Ebenen voll in die Harmoniefalle getappt. Sie wollte harmonische Beziehungen zu ihren Kollegen und ihrer Chefin, keine Streitereien und Konflikte im Team. Sie wollte ein ungestörtes Verhältnis zu ihren Mitmenschen, nirgendwo anecken, anerkannt und gemocht werden, bei allen beliebt sein. Und dafür hat sie ihre Stärken voll eingesetzt: Einfühlungsvermögen in die Situation des Gegenübers, Sensibilität für die Emotionen und Bedürfnisse anderer, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft, Toleranz und Verständnis, Schlichtungs- und Vermittlungskompetenz bei Meinungsverschiedenheiten.
Dabei hat sie leider völlig vergessen sich abzugrenzen, für ihre eigenen Bedürfnisse und Rechte einzustehen, ihre innere Stärke einzusetzen, in unangenehmen Situationen ihren Standpunkt zu verteidigen und auch einmal Nein zu sagen. Sie hat keinerlei persönliches Profil und Durchsetzungskraft gezeigt – und keinen Mut, aufzubegehren und auch mal etwas Neues zu wagen, selbst wenn es den anderen vielleicht nicht gefallen wird.
Wie soll sie es bloß allen recht machen?
Ohne diese Balance schnappt die Harmoniefalle zu: Die potenziellen Stärken kehren sich um in Schwächen. Verständnis und Toleranz werden zu Naivität und führen zu Entscheidungs- und |29| Handlungsunfähigkeit: Entscheidet sie sich für A, gefällt es dem einen nicht, entscheidet sie sich für B, ist ein anderer unzufrieden. Übertrieben diplomatische Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse und Meinungen aller lässt Monika zum Fähnchen im Winde werden. Ohne Courage stimmt sie demjenigen zu, mit dem sie gerade spricht, auch wenn sie das Thema insgeheim für Schwachsinn hält. Nur niemanden durch Widerspruch verärgern und die Harmonie gefährden, nicht wahr? So kommt es, das Monika kein wahrnehmbares individuelles Profil hat und von niemandem ernst genommen wird. Ein Wackelpudding eben, irgendwie fad und langweilig.
Alles stets unkommentiert zu schlucken und Konflikten permanent aus dem Weg zu gehen, geht natürlich nicht spurlos an Monika vorüber. Irgendwo muss die negative Energie ja bleiben. Und weil sie sie nicht im Gespräch verarbeiten und konstruktiv einbringen kann, wirkt sie sich eben woanders aus: Sie hat nicht umsonst Nackenverspannungen und Rückenprobleme.
Außerdem fehlen Monika durch das vorschnelle Zustimmen konkrete Lernerfahrungen: Wie reagieren Menschen wirklich, wenn man ihnen widerspricht oder etwas abschlägt? Da hat sie nur Vermutungen, die sich im Rahmen eines Horrorszenarios bewegen. Aufgrund ihres übertriebenen Verständnisses von Harmonie ist sie extrem empfindlich für Kritik. Die schmettert sie völlig nieder – sei sie auch noch so vorsichtig geäußert. Kritik an einem Tippfehler versteht Monika gleich als Hinterfragung ihrer ganzen Person. Wegen einer Lappalie befürchtet sie, nicht mehr gemocht zu werden. Auf diese Weise verbaut sie sich Lernchancen und geht
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