Everybodys Darling, Everybodys Depp
Möglichkeiten zur Weiterentwicklung aus dem Weg. Jeder macht Fehler, die Kritik hervorrufen können – doch für Menschen ist diese Rückmeldung wichtig. Aber Monika würde es nie wagen, Kritik zu äußern. Sie findet lieber immer alles toll. Kein Wunder, dass sie immer seltener nach ihrer Meinung gefragt wird. Denn die ist nichtssagend.
|30| Monika opfert Freizeit und Erholungsphasen, weil sie niemandem etwas abschlagen kann. Ihre Hilfsbereitschaft auf Kosten der eigenen Bedürfnisse, Nerven und Zeit führt auf Dauer zu Stress und Zeitnot. Schlimmstenfalls führt sie zum Burn-out – der natürlich auch aus anderen Gründen als Harmoniesucht auftreten kann. Unangenehmer Nebeneffekt: Sie wird als unzuverlässig angesehen, weil sie eigene Projekte nicht mehr pünktlich abwickeln kann.
Die Kollegen, aber auch die Familie, Freunde und Bekannten haben im Umgang mit Monika gemerkt, wo ihre wunden Punkte sind: ihr ausgeprägtes Harmoniebedürfnis, ihre Angst vor Kritik, ihre Zurückhaltung beim Neinsagen, ihre emotionale Sensibilität, ihre stete Hilfsbereitschaft. Und wie Menschen nun einmal sind, nutzen etliche von ihnen diese Kenntnis aus: bewusst oder unbewusst, aber auf jeden Fall schamlos. Monika ist in etlichen Verhaltensmustern berechenbar und somit anfällig für Manipulationen jeder Art: Man nehme als Grundzutat ein wenig von der Mitleidstour, eine Prise moralische Enttäuschung dazu, der Hauch eines Stirnrunzelns darüber, ein scharfer Blick als Krönung obendrauf – diese Rezeptur führt so gut wie immer zum Erfolg. Vielleicht leistet sie anfangs noch halbherzig Widerstand, schließlich tut sie ja doch, was man von ihr will.
Als wären das noch nicht genug der Nachteile: Das schlimmste Resultat ist die mangelnde Selbstachtung und der Ärger über sich selbst. Im Grunde genommen findet Monika ja selbst, dass sie einem leise blökenden Schäfchen ähnelt. Das hat sie schon oft geärgert – bei jedem Nachgeben ein bisschen mehr. Trotz guter Vorsätze, beim nächsten Mal standhaft zu bleiben, schafft sie es aber einfach nicht. Sie lässt zu, dass andere über sie bestimmen und sie nicht wirklich die Verantwortung für ihr Leben übernimmt. Ihr Selbstbewusstsein ist dementsprechend häufig eher im Keller als im Erdgeschoss zu suchen, geschweige denn eine Etage höher.
Die bittere Ironie: Monika bekommt in keiner Hinsicht das, |31| was sie sich erträumt hat. Die anfängliche Beliebtheit schlägt mehr und mehr in Geringschätzung, sogar Verachtung, um. Daraufhin erfolgt ein Rückzug von ihr. Der vermeintlich reibungslose Alltag mit pseudoharmonischen Beziehungen birgt erheblichen Sprengstoff, weil am Ende doch zu viele Dinge ungeklärt bleiben. Ihre Hilfsbereitschaft wird nicht erwidert, sondern ausgenutzt. Und wenn
sie
einmal jemanden braucht, steht sie allein da.
Ein weiterer teuflischer Mechanismus kommt hinzu: Je mehr man sich den Menschen durch Flucht und Nachgeben entzieht, desto mehr setzen die einem nach. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er wissen will, wo bei einem anderen die Grenzen liegen, wo der harte Kern sitzt, woran man sich im Umgang mit ihm orientieren kann. Und da sind Erwachsene nicht anders als Kinder in der Trotzphase, die ihre Grenzen ausloten wollen: Man geht weiter und weiter, setzt hartnäckig noch eins drauf, wird fast ein bisschen bösartig, nur weil man endlich wissen will, wann das Gegenüber sich endlich wehrt. Auch Erwachsene haben eben ein starkes Bedürfnis nach Orientierung, Regeln und Klärung der Kräfteverhältnisse.
Es gilt also, eine erschütternde Nachricht zu verdauen: Von all den Milliarden Menschen, die derzeit auf unserer Erde leben, wird |32| Sie selbst dann nicht jeder mögen, wenn Sie versuchen, es allen recht zu machen! Die anonymen Milliarden interessieren Sie gar nicht – es sollen Sie nur die Leute mögen, die Sie kennen? O je, dann kommt es noch schlimmer für Sie. Auch unter den Menschen, die Sie kennen, gibt es etliche, die Sie nicht mögen oder mit denen Sie wiederum nicht auskommen. Das ist natürlich in Wirklichkeit keine schlimme, sondern eine gute Nachricht. Monika ist ja nun wirklich kein Vorbild.
Wenn Sie wirklich jeder mögen würde, hätten Sie keinerlei individuelle Züge. Sie wären wie ein formloses, verwaschenes, sackartiges T-Shirt, das zwar jedem irgendwie passt, in dem sich aber auch keiner richtig wohl fühlt. Maßgeschneiderte Kleidungsstücke passen nun einmal nicht jeder Figur. Aber welch ein Unterschied fürs
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