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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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ausgeglichene Wesen, ansonsten bin ich nach dem Vater gekommen. Leider war ich bei meiner Geburt noch zu jung, um mir einen Erzeuger nach eignem Geschmack auszuwählen.« In Mr. Pickerings Augen sprühte jener Humor, der in seinem Land nicht selten über Kummer hinweghilft und der dort höher als ein gutes Herz, jedenfalls aber mehr als Verstand geschätzt wird. »Sagen Sie, Jenny, ist Ihnen der Name Pickering schon mal irgendwo begegnet?«
    Evgenia Ivanovna bekannte verlegen, den Namen gelesen zu haben, in der U-Bahn, auf Reklameschildern, wohl für Zahnpasta oder Sportartikel.
    »Oh, beides ist durchaus denkbar«, bekräftigte der Professor nachsichtig. »Bei uns in Yorkshire können Sie ein universales Ensemble aus den Pickerings aller Gewerbe und Berufe bilden. Aber der Abend ist kühl geworden, ist Ihnen nicht zu kalt?«
    Bestürzt ob ihrer Bildungslücken, überhörte Shenja die Frage. Dabei war dieser klangvolle Name vor einem Jahr wochenlang durch alle Zeitungen gegangen, als die Rede war von den aufsehenerregenden Ausgrabungen zu Ninive, die das Rätsel der Rivalität zwischen Ninive und Babylon lüfteten. Pickerings konsequente, brennend aktuelle Ideen, was den Sittenverfall in Assyrien betraf, seines Erachtens ein Symptom einsetzenden staatlichen Niedergangs, erklärte die Presse aus seiner berüchtigten Neigung zu linken, ja moskauhörigen Anschauungen. Doch damals hatte Evgenia Ivanovna in den Zeitungen vor allem die Stellenangebote gelesen. So sah sich Mr. Pickering denn genötigt, ihr seine Entdeckungen zu erläutern. Derart ins Vertrauen gezogen, bekannte Evgenia Ivanovna, auch sie habe zu Hause leidenschaftlich gern Schulausflüge zu den umliegenden historischen Stätten gemacht, aber soviel sie auch an einem Hünengrab oder einer Flußböschung herumgebuddelt hätten, Wertvolles sei dabei nicht zutage gekommen. Archäologie sah sie als Schatzsuche ohne eigennützige Ziele an. Der Professor entgegnete milde, diese gewißlich kühne, aber etwas bündige und nicht bloß daher ein wenig ungenaue Definition seiner Wissenschaft sei wenigstens anderthalbtausend Jahre alt. Nunmehr gab er einen flüchtigen Abriß der Archäologie, von den Anfängen bis zu dem Zeitpunkt, da sie, in Abweichung zu Platos ursprünglicher Sinndeutung, zum Spaten der Geschichte wurde. Im Grunde ging dieses nächtliche Gespräch an Deck um etwas ganz anderes, und die vorgeschobene Gelehrsamkeit bot nur Schirm und Gelegenheit, einander näherzukommen. Mr. Pickerings Reisegefährtin, zeigte sich, schwärmte auch für Mythologie und hatte mit einem Quasiverwandten zusammen, der nun verstorben sei, den illustren Stammbaum hellenischer Götter und Göttersprosse nachgezeichnet. Da sie sich nun einmal um ihres Chefs Gunst bemühte, gab Evgenia Ivanovna gleich noch ihre Lieblingsgeschichte zum besten von jenem Pharao, der, wie sie sich erinnerte, als ein dummer Fisch seinen kaiserlichen Ring verschluckte, das Meer mit Ketten schlug und daraufhin mit Roß und Wagen unterging.
    So ungefähr nahm sich das in Evgenia Ivanovnas Munde aus, und an dem eintretenden Schweigen war zu ersehen, daß diese Geschichte ihr bei Mr. Pickering nicht eben neue Sympathien eingetragen hatte. Er stand über die Reling gebeugt und starrte angelegentlich ins unsichtbare Wasser. Dann schob er das nebelbeschlagene Fernglas ins Futteral.
    »Zweifellos, Jenny, Sie haben ein höchst originelles mnemotechnisches System entwickelt, um historische Daten in so konzentrierter Form zu bewahren. Uns Archäologen jedenfalls macht das Ineinander, in das sich Natur und Zeit gewöhnlich flüchten, viel zu schaffen. Ich meine, diese enorme Ballung von Kulturdenkmälern … erfolgt sie nicht deswegen, um möglichst viel davon später zu erfassen?« verbesserte er sich verdrossen. »Aber ich ermüde Sie mit meinen Geschichten, Jenny. Es ist kühl. Alle haben sich längst zurückgezogen. Auch für uns ist's wohl Zeit.«
    »Finden Sie?« rief Evgenia Ivanovna entsetzt, unruhig nach einem Vorwand suchend, um auf dem verwaisten Deck zu bleiben. »Wozu, wozu denn?«
    »Zum Schlafen, falls Sie das nicht für unvereinbar halten mit der Stellung einer Expeditionssekretärin«, witzelte er grimmig.
    »Bleiben wir doch noch ein bißchen. Die Nacht ist ja ziemlich warm.«
    Der quälende Verdacht kam ihr von neuem. Sie dachte an ihre Zimmerwirtin, die hatte sie, die hübsche Untermieterin, aus Nächstenliebe an ein durchaus wohlanständiges Vorortsetablissement vermitteln wollen, wo man der

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