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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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mit den Blauaugen und den kindlichen Wimpern in diesen Einzelseminaren. Wie eine Augenzeugin sah Shenja auf diesen spiritistischen Sitzungen erschüttert die großen orientalischen Reiche vor sich emporwachsen und zerfallen. Jahrhunderte flimmerten vorbei wie auf der Leinwand, wenn der Vorführer verrückt wurde, und bewahrten gleichwohl jenen unvergänglichen flüchtigen Hauch, den der Marmor alter Bruchstücke schaudernd warm atmete. Wie andere Blumen oder Reimereien darbringen, so schenkte Mr. Pickering der geliebten Frau auferweckte Welten; Hauptsache, daß ihr zerstreutes Lächeln sie streifte! Zwischendurch erklärte er leidlich glaubhaft, von seiner Mesopotamienexpedition habe er sich getrennt, um einem seiner Lieblingsschüler mehr freie Hand zu lassen, wobei es ihn ja hart angekommen sei, seine begreifliche Eifersucht auf die Jugend zu unterdrücken.
    »In meinem Alter muß man sich beeilen … Schon ist man an der Neige seiner Tage, und immer noch ist ungetan, weswegen es einzig lohnte, in diese peinlich unerfreuliche Haut zu schlüpfen.«
    Um die junge Frau endlich von ihren Gespenstern abzubringen, nahm er sie täglich tüchtig heran, mitunter geradezu über Gebühr. Sie hatte das Reisetagebuch zu führen, es mit einer Fülle von Fotos und architektonischen Bildern zu versehen, die an jeder Erfrischungs- und Tabaksbude zu haben waren. Der syrische Himmel glühte ringsum, weder Tropenkleidung noch rauchfarbene Brille schützten gegen die grelle Hitze, bei Blende achtzehn genügte ein Tausendstel. Und fast jede Nacht träumte Evgenia Ivanovna von einem Garten im Norden, spielzeugwinzig, malvenüberwuchert, wo die Mutter in den Tomatenbeeten wirtschaftete. Die Tochter, aus den Ausland heimkehrend, wollte sie in die Arme schließen, bevor die Alte unter die Erde kam, doch an der Gartentür stand jemand, rührte sich nicht, kein Fremder, aber unerwünscht, jammernd, betrunken, den Arm in der Schlinge, von wechselnder Gestalt, störte, quälte, ließ kein Auge von dem Haarkringel in ihrem Nacken, den er bei Lebzeiten so gern geküßt hatte.
     
    Von Jaffa aus fuhr man zu dritt in einem langen Wagen aus bläulichem Riffelsilber auf einer alten Karawanenstraße nordwärts. Einschläfernd summte der Motor. Evgenia Ivanovna saß am Fenster, die Wange in die kitzelnde Seide der Gardine gelehnt. Vorüber zogen Ruinen in gespenstischem Kreideweiß, Schafherden, Wasserträger, eselreitende Fellachen, eine halbverfallene Kreuzritterburg – wollte man Pickerings Gemurmel glauben –, und die andern Reste in der Wüste einst gewachsener und zerfallener Fata Morganen, Karawanen von Wolleballen, mohammedanische Friedhöfe, auf den Grabsäulen Steinturbane, träge Wasserräder mit tönernen Schöpfkellen an den Feldern armer Teufel und dergleichen mehr … All das unterschied sie in den sandigen Winden, durch bleiernen Halbschlaf und Stratonows flirrende Silhouette hindurch, die ihr den Blick verschattete wie ein grauer Star. Seine Nachstellungen wären unerträglich gewesen, hätte es nicht diesen Hoffnungsstern gegeben, der die Reisenden begleitete, sichtbar allenthalben – am stillen Abendhorizont, in den Augen des Derwischs, der am Rastplatz um Bakschisch bettelte, in den Mauerklüften der Römerfestung, die sie besichtigten, während der Wagen tankte.
    In aschgrauem Dunst wanderten die berühmten Küstenstädte vorüber – jede eine lodernde Fackel in der Geschichte des Orients, wie Mr. Pickering erklärte. Hatte man in Damaskus verweilt, um in der Omajjadenmoschee des Muezzins klassischen Gebetrufen zu lauschen, so konnte Palmyra keineswegs übergangen werden, jene großartige Szenerie einstiger Pracht und Herrlichkeit, nun abgedorrt, ohne eine einzige Palme. Ein gelehrter Araber des hiesigen Museums, vom Aussehen eines Maronitenpatriarchen, in rundem Käppchen und malerischer Chlamys, unter der alte europäische Halbschuhe behutsam dahertrippelten, führte die Besucher zwischen den alten Nekropolen, Altären und Aquädukten umher. Hier und da rankten knotige Efeustränge an überkommenen Kolonnen empor, umklammerten die Schnörkel der Kapitelle; eine Kletterrose, blütenstrotzend von der Wurzel an, kratzte sich mit ihnen um den Platz. Der Araber ließ keinen Ziegel unerklärt, Ehrfurcht rang mit dem Gähnen. Bestenfalls taugte das alles dazu, Globetrottern elegischen Genuß zu verschaffen. Immerhin, hatte Evgenia Ivanovna beim Anblick dieser gleichförmigen Steinauftürmungen zuerst nur Langeweile empfunden, so

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