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Evgenia Ivanovna

Evgenia Ivanovna

Titel: Evgenia Ivanovna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonid Leonow
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Reisenden arabischen Reiterspielen beiwohnten.
    An nichts erinnerte sich Evgenia Ivanovna später mehr: weder an das blendende Blau des Firmaments noch an die kehligen Schreie der Reitsportfanatiker. In die Wirklichkeit kehrte sie erst zurück, als der Schweißgeruch glänzender Pferdeflanken ihre Nüstern streifte und auf ihren Zähnen Sand knirschte; auf das Zeichen des mickrigen, grimmig dreinschauenden Scheichs war eine Wolke von Reitern in wehenden gestreiften Burnussen, Kriegsrufe ausstoßend, auf den imaginären Feind losgesprengt. Sie brausten vorüber, aufrecht in den Steigbügeln federnd und umherknallend in vollem Galopp, um der stattfindenden Operation den Anschein des Echten zu verleihen. Vor Dankbarkeit gegen Gott und die Menschen stürzten Evgenia Ivanovna die Tränen in die Augen und spülten die Qual, die Erniedrigung und die Angst dieser letzten drückenden Jahre fort. Ihr war, als teile alles ringsum ihr Jubelgefühl, selbst dieser Krüppel da mit dem Stoppelkopf, der schaukelnd über die Rennbahn humpelte, oder der dressierte Falke dort, der mit stolzem Kopf auf der geschulterten Stange saß. Evgenia Ivanovna hatte nur den einzigen Gedanken: Wieviel bleibt mir noch, wieviel? Sie rechnete herum, was wohl die angenommene Dauer eines Menschenlebens minus ihre vierundzwanzig Jahre ergab. Sie genas vom Vergangenen, und da verschwand Stratonow aus ihrem Herzen, doch mit so geringschätziger Miene, daß sie vor Schmerz fast vergangen wäre, hätte sich ihr nicht die rettende Hand des Mr. Pickering dargeboten. Der drückte unter der Bank ihre eisigen Finger, bis sie in seiner Hand auftauten. Evgenia Ivanovna dankte es ihm mit einem langen tränenfeuchten Blick … Diese Nacht erschien ihr ihr gewesener Mann ein letztes Mal im Traum.
    Mitternacht, unwegsame Gebirgsschluchten ringsum, kein Felsen zu sehen, nicht mal der eigne Fuß auf dem Pfad, nichts. Eine beklemmende Unruhe sagte ihr, dies dort sei mehr als eine Schlucht, jenseits der Nacht dort liege die Grenze zum riesigen Rußland. Irgendwo hier mußte Stratonow stecken, und sofort regte sich in ihr eine merkwürdige kitzelnde Neugier: Was trieb er in diesem Stockdunkeln? Das mußte sie augenblicklich herauskriegen, bevor es zu spät war. Aber da lag er ja, beinah wäre sie auf ihn getreten, er lag quer übers Gestein, den Kopf hintüber in einer ausgetrockneten Runse. Also war er gar nicht in Afrika gefallen, sondern hier, beim unerlaubten Grenzübertritt erschossen worden … Allein Evgenia Ivanovna glaubt dem Schwindler nicht mehr. Sie rutscht und stolpert im Geröll um den Daliegenden herum, tut, als ob sie eine Furt suche, dabei sucht sie in Wirklichkeit seinen Leib nach Einschußstellen ab, aber es gibt keine. Immerhin, etwas schimmert dunkel auf seiner Stirn, aber ihr graut, sich zu bücken und sich mit dem Finger zu vergewissern: Wenn er nun zufaßte? Dann merkt sie, Stratonow ist gar nicht tot, ja, im Gegenteil, er liegt da und beobachtet sie unter gesenkten zuckenden Lidern hervor, kalt, unbarmherzig … Evgenia Ivanovna fährt in eisigem Entsetzen aus dem Schlaf; wie gehetzt flüchtet sie ins Nebenzimmer und schlüpft unters Moskitonetz zu Mr. Pickering, sucht bei ihm Wärme und Geborgenheit.
    So erfüllte sich des Engländers geheimer Wunschtraum. Gleichwohl wagte er zuerst nicht, die Geliebte anzurühren, da er sich nicht zu Unrecht lediglich als letztes Glied in der Kette ihrer Mißgeschicke wähnte. Als dann diese natürliche Starre der Andacht verflogen war, ging es ganz lustig zu bei ihnen. Eine Stunde später gewahrte Evgenia Ivanovna ihre nackten Beine im Mondschein und zog mit sündhaftem Lachen das zu Boden geknüllte Laken hoch. Die in dieser Nacht angeknüpften Beziehungen wurden mit wachsendem Erfolg fortgesponnen und einen Monat darauf in der Türkei juristisch besiegelt. Dank ihrem Ehestand sah sich Evgenia Ivanovna endlich in die Lage versetzt, ohne Sorge an den nächsten Tag und ihr Portemonnaie zu denken.
     
    Ihre türkische Reiseroute führte durch ziemlich triste Gegenden bei obligatem Besuch aller historischen Sehenswürdigkeiten. Rumpelkästen, Taschabarras genannt, aus dem Arsenal der Folterwerkzeuge, beförderten sie, und statt des Diners warteten auf sie klitschige Fladen, Juffkas , nebst einer Handvoll Ziegenkäse. Allerwege begleitete die Neuvermählten nicht gelinde Verwunderung. Es sah fast so aus, als sollte es kein Fleckchen auf Erden geben, wo der Professor ungestört, ohne schlüssellochguckenden Spott,

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