Evianna Ebel und die Tafeln des Schicksals
folgen doch Shaytan hielt sie zurück.„Lasst sie gehen“, sagte er.
„Aber sie ist unsere einzige Chance“, jammerte Dragor.
„Sie kommt wieder!“, sagte Shaytan bestimmt.
„Wenn du dich da mal nicht täuscht“, sagte Pan’C bitter.
Evianna stieg auf ihr Motorrad. Nach einem Besuch im Zentralarchiv machte sie sich auf den Heimweg. Zu Hause angekommen stürmte sie hinein und knallte die Eingangstür hinter sich zu. Den Beutel mit der Hand warf sie auf den Küchentisch. Dann riss sie die Kühlschranktür auf und genehmigte sich einen hochprozentigen Schnaps direkt aus der Flasche.
Engus kleine Hand kam unter dem Tisch hervor und angelte nach dem Beutel. Wie der Blitz zog er den Beutel unter den Tisch. Evianna hatteEngus‘ Übergriff auf den Beutel bemerkt. In Gedanken zählte sie bis drei. Dann ertönte ein schrilles Quietschen und Engus schoss kreuz und quer durch das Wohnzimmer. Die Hand hatte sich an seine Nase geklammert. „Mach‘, dass es weggeht! Mach‘, dass es weggeht!“, schrie der Puk näselnd.
Evianna machte sich samt Schnapsflasche auf den Weg nach oben. „Finde selbst ‘raus wie’s geht, dämlicher Puk“, murmelte sie. Bei dem, was sie vorhatte, brauchte sie keine Gesellschaft.
Evianna betrat ihr Beschwörungszimmer im ersten Stock. Sie schloss die Tür hinter sich ab und richtete alles dafür her, Shak herbeizurufen. Nur auf das Pulver und auch auf die Kerzen verzichtete sie diesmal. Shak hatte gesagt, er könnte sie auch ohne das Beiwerk hören. Eine Aussage, die Evianna nach ihrem letzten Besuch bei den Gargoyles wirklich beunruhigte.
Evianna holte das Amulett, das sie um den Hals trug hervor. Sie murmelte ihre Beschwörungsformeln und stach sich mit einem kleinen Dolch in den Finger. Als drei ihrer Blutstropfen den Boden berührten, erschien der grünliche Nebel der Zwischenwelt und in einem Wirbel reinster Energie erschien mitten im Kreis Shak. „Es freut mich, dich zu sehen, Evianna Ebel“, sagte Shak mit einer leichten Verbeugung.
Evianna setzte die Schnapsflasche an die Lippen und trank. Shak sah sie kopfschüttelnd an während ein mildes Lächeln seinen Mund umspielte. „Ist es so schlimm?“, fragte er.
Evianna saß am Rand des Kreises auf dem Boden. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen um den bitteren Geschmack des Alkohols loszuwerden. „Ich weiß nicht. Sag‘ du es mir.“
„Was soll ich dir sagen?“, fragte Shak. Er ließ sich im Schneidersitz nieder, wie er es gern‘ tat, und drehte sich langsam um sich selbst.
„Warum fällt es mir so leicht, dich zu rufen?“, fragte Evianna leise.
Shak hob‘ lächelnd die Schultern. Er sog einen der Blutstropfen auf und erschauerte freudig.
„Warum kann Shox meine Aura nicht sehen?“
Shak hob‘ verwundert die Augenbrauen. „Ich fürchte, ich verstehe nicht…“ Evianna nahm einen weiteren großen Schluck aus der Flasche. „Shak, sag‘ mir: wer bin ich?“
Shak lachte heiser. „Du bist Evianna Ebel. Wer denn sonst?“
Evianna schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein.“
Shak trudelte in der Luft herum. „Und warum nicht, wenn die Frage gestattet ist?“ „Weil Evianna Ebel im Alter von achtzehn Jahren starb, und zwar am Tag des Polsprungs.“
Shak wirkteuninteressiert. „Ein Irrtum. Weiter nichts.“
„Nein“, sagte Evianna bestimmt. „Die meisten Todesfälle hier in Collum wurden akribisch dokumentiert und fotografiert. Jeder Leichnam, der verbrannt wurde, wurde ordentlich aufgelistet. Sämtliche Listen und Dokumente lagern in einem riesigen von Wiedergängern verwalteten Archiv. Ich bin dort gewesen. Ich habe die Sterbeurkunde und die Fotos gesehen. Evianna Ebel ist tot. Irrtum ausgeschlossen. Und ich sehe nicht mal annähernd so aus wie sie.“
Shak sog den zweiten Blutstropfen auf und leuchtete kurz rötlich auf. „Und nun?“ Evianna lies den Kopf hängen. „Ich möchte wissen, wer ich bin.“
„Du bist Evianna Ebel“, sagte Shak mit Nachdruck. Evianna sah ihn an. „Bin ich tot?“ „Was?“, fragte Shak ungläubig. „Nein, natürlich nicht.“
„Dann sag‘ mir doch endlich: wieso ist es so einfach für mich, dich zu rufen? Wieso habe ich keine Aura? Und wieso glauben die Gargoyles, ich könnte ihnen die Tafeln des Schicksals aus dem Jenseits besorgen?“
Shaks unermüdliches Lächeln machte Evianna langsam aber sicher wütend. „Vielleicht sind wir uns ähnlich?“
„Was soll das heißen?“, fragte Evianna aufgebracht. „Du bist ein Dämon, und ich…?“ „Du nicht“, sagte
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