Evolution der Leere: Roman
Jahre seinen täglichen Trainingslauf durchgehalten zu haben. Bis heute schaffte er es immer noch die ganzen Zikkuratstreppen hinauf, ohne aus der Puste zu kommen. Mittlerweile gab es sogar richtige Laufsportvereine in der Stadt; und der große Herbstvolkslauf von den Stadttoren über die Iguru bis zu Kessals Hof und zurück war ein Ereignis, an dem jedes Jahr mehr Leute teilnahmen.
»Nein«, sagte Edeard. »Auf die Art kommen wir nicht weiter. Wir müssen die Arbeitsweise der Captains der Wachen und Sheriffs ändern. Sie sollten sich mehr auf das Sammeln von Informationen konzentrieren, vielleicht ein paar geeignete Trupps von Konstablern zusammenstellen, die während ihrer Arbeitszeit etwas anderes tun, als einfach nur auf Streife zu gehen.«
»Noch mehr Sonderkomitees des Großen Rats?«
»Nein, nichts in der Art, ich dachte eher an eine Gruppe von leitenden Konstablern. Leute mit etwas mehr Erfahrung und ein bisschen mehr Grips als der Durchschnitt, die ihre Zeit verstärkt der Prüfung aller Aspekte eines Verbrechens widmen und versuchen, ein Muster zu erstellen. So wie wir's damals gemacht haben. Erinnerst du dich noch, wie ich Ivarl ausspioniert hab', um rauszufinden, was er im Schilde führt?«
»Ich erinnere mich vor allem daran, was dir bei der Aktion zugestoßen ist.«
»Alles, was ich sage, ist, dass wir klüger vorgehen, dass wir umdenken müssen. Die Zeiten ändern sich. Es wäre eine Ironie des Schicksals, wenn ausgerechnet wir nicht dazu imstande wären, Schritt zu halten.«
Mit breitem Grinsen legte Macsen Edeard eine Hand auf die Schulter. »Weißt du, was dein wirkliches Problem ist?«
»Was?«, fragte Edeard, obwohl er die Antwort bereits ahnte. »Deine Geilheit auf Ruhm.«
Es war die dritte Nacht, in der Edeard nun schon in dem großen Schlafzimmer im zehnten Stockwerk der Culverit-Zikkurat wachgelegen hatte. Dabei hätte er dort wirklich Schlaf finden sollen. Der Raum war perfekt für ihn, er hatte Jahre damit verbracht, ihn zu verändern, hatte die auf den Dachgarten hinausgehenden Bogenfenster vergrößert, die Leuchtquellen zu Ringen angeordnet, die ein warmes rosaweißes Licht spendeten, die Deckenhöhe reduziert, Nischen geschaffen, für die Kristabel genau passende Möbel bestellt hatte, die Wände zu einem dezenten Graublau abgetönt, sodass sie wunderbar mit dem eigens gewobenen Teppich korrespondierten. Selbst die weiche Bettmatratze hatte er so lange nachgebessert, bis sie exakt die Festigkeit hatte, die er und Kristabel wünschten. Über ihre Vorliebe, sämtliche Möbel in Spitze zu kleiden, hatte es einige Diskussionen gegeben, deren letztlicher Kompromiss aus ein paar wenigen, geschmackvollen Rüschenakzenten bestand. Sogar die Vorhänge waren in einem stilvoll matten Rostrot gehalten, wenngleich sie auch dicke jadegrüne Paspeln und Quasten aufwiesen. Zwar stellten die Quasten eines seiner größten Zugeständnisse dar, doch daran, dass er nicht schlafen konnte, konnte er ihnen wirklich nicht die Schuld geben.
Kristabel wälzte sich neben ihm auf die andere Seite und zog dabei die Bettdecke mit sich. Er hielt den Atem an, bis sie wieder tief und fest schlief. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, nicht allzu lang her, da hätte er sich in solchen Momenten an sie geschmiegt, und sie hätten angefangen, sich zu liebkosen und zu küssen. Es hätte ein Kichern und Stöhnen gegeben, dann wären Laken und Decken in die Ecke geflogen, und sie hätten ihre Körper gegenseitig jenem wundersamen Gipfel entgegengetrieben, von dem sie genau wussten, wie man ihn erklomm.
Während er im fahlen Licht der Dämmerung, das durch die Vorhänge kroch, ihre Umrisse betrachtete, fragte er sich, wann das alles geendet hatte. Nicht, dass es gänzlich aufgehört hatte, sie taten es immer noch mehrmals im Monat. Früher geschah es allerdings mehrmals die Nacht. Kristabel war nach wie vor wunderschön; nicht mehr so mädchenhaft, was er sowieso nicht unbedingt brauchte. Ihr Haar fing an, sich aufzuhellen, und um ihre Augen herum waren ein paar wenige Falten entstanden. Aber ihr Aussehen machte sie noch immer ausnehmend begehrenswert. Nur allzu gut konnte er sich an all das Gefluche und Gejammere nach jedem Kind erinnern, darüber, wie viel Gewicht sie während der Schwangerschaft zugelegt hatte und dass sie niemals wieder gut aussehen würde. Dann war jedes Mal ein langer Kampf gefolgt, in dem sie sich ihre alte Figur zurückeroberte; mit eiserner Disziplin hatte sie streng darauf geachtet, was sie
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