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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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mit den Füßen trockenes Laub und Seetang
beiseite. Bald hatte er gefunden, wonach er suchte. Er kniete sich
hin und beseitigte mit den Fingern vorsichtig den Schutt. »Es
ist noch wie damals, als ich sie gefunden hatte. Ich habe sie auch
genauso zurückgelassen, weil ich die Gebeine nicht stören
wollte.«
    Die anderen scharten sich um ihn. Athalarich bemerkte abwesend,
dass ein junger Römer, ein Mann aus Gallas Gefolge, sich
auffällig dicht hinter Honorius stellte. Aber der Junge wirkte
nicht gefährlich, bloß neugierig.
    Und alle waren beeindruckt, als Honorius sachte seinen
knöchernen Schatz ans Licht brachte. Athalarich sah auf den
ersten Blick, dass es sich um ein menschliches Skelett handelte. Das
musste aber ein besonders kräftiger Mensch gewesen sein, sagte
er sich, mit schweren Knochen und langen Fingern. Und dass der
Schädel deformiert war, das heißt mit einem Loch im
Hinterkopf, das vielleicht von einem Schlag herrührte. Der Boden
unter den Knochen war mit Muschelschalen und Feuersteinen
übersät.
    Honorius erläuterte die Besonderheiten der Fundstelle.
»Schaut hier. Er hat Muscheln gegessen. Die Schalen sind
versengt; wahrscheinlich hat er sie ins Feuer geworfen, um sie zu
öffnen. Und ich glaube, diese Feuersteinsplitter sind
Abfälle von einem Werkzeug, das er sich angefertigt hatte. Er
war eindeutig menschlich, aber nicht so wie wir. Seht diesen
Schädel, mein Herr Skythe! Diese kräftigen Brauen, die
simsartigen Wangenknochen – habt Ihr so etwas jemals
gesehen?« Er warf Athalarich mit leuchtenden Augen einen Blick
zu. »Es ist, als ob wir in eine andere Zeit zurückversetzt
worden wären, als ob es uns Jahrtausende in die Vergangenheit
verschlagen hätte.«
    Der Skythe bückte sich, um den Schädel in Augenschein zu
nehmen.
    Und dann geschah es.
    Der junge Römer hinter Honorius machte einen Schritt nach
vorn. Athalarich sah seinen vorstoßenden Arm, hörte ein
leises Knirschen. Blut spritzte. Honorius brach über den Knochen
zusammen.
    Die Leute wichen entsetzt zurück. Papak quiekte wie ein
ängstliches Schwein. Doch der Skythe fing Honorius auf und legte
ihn auf den Boden.
    Athalarich sah, dass Honorius’ Hinterkopf zertrümmert
war. Er stürzte sich auf den jungen Mann, der hinter Honorius
gestanden hatte und packte ihn an der Tunika. »Du warst es
– ich habe es gesehen – da warst es. Warum? Er war
doch ein Römer wie du, einer von euren eigenen…«
    »Es war ein Unfall«, sagte der junge Mann
ungerührt.
    »Lügner!« Athalarich schlug ihm so heftig ins
Gesicht, dass er aus Mund und Nase blutete. »Wer hat dich
gedungen? Galla?« Athalarich holte zu einem weiteren Schlag
gegen den Mann aus, doch starke Arme schlangen sich um seine Taille
und zogen ihn weg. Athalarich zappelte in ihrem Griff und wandte sich
an die anderen. »Helft mir. Ihr habt gesehen, was geschehen ist.
Der Mann ist ein Mörder!«
    Aber sie schauten ihn nur ausdruckslos an.
    Und dann verstand Athalarich.
    Das war alles geplant gewesen. Nur der entsetzte Papak und
vermutlich auch der Skythe hatten nichts von diesem Mordplan gewusst
– und Athalarich selbst, der Barbar, der mit den Gepflogenheiten
einer mächtigen Zivilisation noch viel zu wenig vertraut war,
als dass er sich ein solches Komplott überhaupt vorzustellen
vermocht hätte. Durch die Ablehnung, das Bischofsamt zu
übernehmen, war Honorius ein Störfaktor für Goten und
Römer gleichermaßen geworden. Die Urheber dieser ebenso
sinnlosen wie üblen Verschwörung hatten sich keinen Deut um
Honorius’ Knochen geschert; den Ausflug ans Meer hatten sie nur
als günstige Gelegenheit betrachtet. Vielleicht würden sie
die Leiche des armen Honorius sogar ins Meer werfen und nicht einmal
nach Burdigala überführen, um eine unangenehme Untersuchung
zu vermeiden.
    Dann riss Athalarich sich los und eilte zu Honorius. Der alte
Mann, dessen zerschmetterter Kopf in den Armen des Skythen ruhte,
atmete noch, hatte die Augen jedoch geschlossen.
    »Lehrer. Hört Ihr mich?«
    Zu seinem Erstaunen schlug Honorius noch einmal die Augen auf.
»Athalarich?« Die Augen drehten sich langsam in den
Höhlen. »Ich hörte ein lautes Knirschen, als wäre
mein Kopf ein Apfel, in den jemand kraftvoll hineingebissen
hätte…«
    »Nicht sprechen.«
    »Hast du die Knochen gesehen?«
    »Ja, ich habe sie gesehen.«
    »Es war auch ein Mensch der Dämmerung, nicht
wahr?«
    »Mensch der Dämmerung«, sagte da der Skythe in
stark akzentuiertem, aber verständlichem Latein. Athalarich

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