Evolution
bis zum Ende des Jahrhunderts zwei
Drittel aller Spezies vernichten, die 1900 existiert hatten. Der
Vorgang ist so schwerwiegend, dass er schon in die Kategorie der
fünf größten Katastrophen der an Katastrophen gewiss
nicht armen Erdgeschichte fällt.
Derweil hat die von Menschen verursachte Klimaänderung sich
als noch viel schwerwiegender erwiesen, als die meisten
Wissenschaftler vorhergesagt hatten. Die großen afrikanischen
Küstenstädte, von Alexandria bis Lagos, sind ganz oder
teilweise überflutet, sodass Dutzende Millionen Menschen
obdachlos geworden sind. Bangladesh steht fast vollständig unter
Wasser. Und wenn man nicht für ein paar Milliarden Dollar einen
Küstenschutz errichtet hätte, dann wäre Florida auch
schon ein Archipel. Und so weiter.
Das ist alles unsre Schuld. Wir haben uns der Natur einfach
übergestülpt. Etwa einer von zwanzig Menschen, die jemals
existiert haben, lebt heute – bei anderen Spezies beträgt
dieses Verhältnis eins zu tausend. Wir zerstören die
Erde zwangsläufig.
Doch selbst jetzt stellt man sich noch die Frage: Kommt es
wirklich darauf an? Dann verlieren wir halt ein paar putzige
Säugetiere und eine Menge Käfer, von denen eh noch kein
Schwein gehört hat. Aber was soll’s? Hauptsache, uns gibt es noch.
Ja, uns gibt es noch, aber das Ökosystem gleicht einer
riesigen Lebenserhaltungsmaschine. Es beruht nämlich auf den
Interaktionen von Spezies auf allen Stufen des Lebens, von den
primitivsten Pilzfäden, die Wurzeln von Pflanzen ernähren,
bis hin zu den gewaltigen globalen Zyklen von Wasser, Sauerstoff und
Kohlendioxid. Darwins Bild vom tropischen Ufer passt wirklich. Wie
bleibt die Maschine aber stabil? Wir wissen es nicht. Was sind die
wichtigsten Bauteile? Wir wissen es nicht. Wie viele vermögen
wir herauszunehmen, ohne dass die Maschine versagt? Das wissen wir
genau so wenig. Selbst wenn wir in der Lage wären, die Spezies
zu identifizieren und zu retten, die wir für unser
Überleben brauchen, wüssten wir nicht, von welchen Spezies
die wiederum abhängen. Wenn wir aber so weitermachen wie bisher,
dann werden wir die Grenzen unsrer Belastung bald herausfinden.
Vielleicht sehe ich das zu schwarz. Aber ich glaube schon, dass es
einen großen Unterschied machen wird, ob wir durch unsere
eigene Dummheit aussterben. Weil wir der Welt nämlich etwas
geben, das sie in ihrer ganzen langen Geschichte noch von keinem
anderen Lebewesen bekommen hat. Und das ist Intelligenz und
zielgerichtetes Handeln. Wir sind in der Lage, einen Ausweg zu
finden.
Also lautet meine Frage – im Vollbesitz der geistigen
Kräfte –, was wir nun zu tun haben?«
Sie verstummte unsicher und blieb auf dem Kaffeetisch stehen.
Ein paar Leute nickten. Andere schauten gelangweilt.
Alison Scott war die erste, die sich erhob. Sie klappte die langen
Beine grazil aus. Joan hielt den Atem an.
»Sie erzählen uns nichts Neues, Joan. Der langsame Tod
der Biosphäre ist… äh… eine Banalität. Ein
Klischee. Und ich muss auch darauf hinweisen, dass das, was wir getan
haben, unvermeidbar war. Wir waren Tiere, wir sind Tiere und werden
uns auch weiterhin wie Tiere verhalten.« Das wurde mit einem
missmutigen Raunen quittiert. »Man weiß von anderen
Tieren, dass sie sich selbst ausgerottet haben«, sattelte Scott
noch einen drauf. »Im zwanzigsten Jahrhundert wurden Rentiere
auf einer kleinen Insel im Beringmeer ausgesetzt. Eine
ursprüngliche Population von neunundzwanzig schwoll in zwanzig
Jahren auf sechstausend an. Ihre Nahrung bestand jedoch aus
langsam wachsenden Flechten, die schneller abgegrast wurden, als sie
nachzuwachsen vermochten.«
»Rentiere verstehen freilich nichts von Ökologie«,
rief jemand.
»Wir haben das im Lauf der Geschichte aber auch getan«,
sagte Scott ungerührt. »Das Beispiel der polynesischen
Inseln ist allgemein bekannt. Und die orientalische Stadt
Petra…«
Wie Joan gehofft hatte, zerfiel die Gruppe in kontrovers
diskutierende Grüppchen.
»… die Schuld dieser Menschen der Vergangenheit, die
unfähig waren, ihre Ressourcen zu verwalten, bestand nur in der
Unfähigkeit, ein schwieriges ökologisches Problem zu
lösen…«
»… Wir bewältigen bereits Energie- und
Masseströme in einem Maßstab, der natürlichen
Prozessen gleichkommt. Nun müssen wir diese Prozesse eben
steuern…«
»… Es ist aber riskant, an die Grundlagen eines ohnehin
schon überfüllten Planeten zu rühren…«
»… All diese technischen Maßnahmen würden
selbst Energie
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