Evolution
war
geschockt.
»Ah«, seufzte Honorius. Dann packte er Athalarichs Hand
so fest, dass es schmerzte.
Athalarich war sich des stummen Kreises um sich herum bewusst, der
Männer aus dem Osten, der Goten und der Römer, die alle
außer dem Skythen und dem Römer Komplizen in diesem Mord
waren. Der Händedruck erschlaffte. Ein letzter Schauder, und
Honorius war tot.
Der Skythe legte Honorius’ Leiche vorsichtig auf die Knochen,
die er entdeckt hatte – Neandertaler-Gebeine, die Knochen eines
Geschöpfs, das sich selbst als den Alten Mann betrachtet
hatte –, und die Blutlache tränkte langsam den steinigen
Boden.
Der Wind drehte. Eine salzige Brise von der See wehte in die
Höhle.
KAPITEL 16
EIN TROPISCHES FLUSSUFER
Darwin, Nördliches Territorium,
Australien,
2031 n. Chr.
I
In Rabaul entfalteten die Ereignisse sich nach einer
unerbittlichen Logik, als ob der große Vulkan und die in ihm
verborgene Tasche aus Magma eine riesige geologische Maschine
seien.
Der erste Spalt tat sich im Boden auf. Eine große Wolke aus
Asche stieg in den rauchigen Himmel empor, und rot glühende
Gesteinsschmelze schoss wie eine Fontäne heraus. Obwohl das
aufsteigende Magma sich noch immer etwa fünf Kilometer unter der
Erdoberfläche konzentrierte, hatte Rabauls dünne Kruste dem
Druck nicht mehr standgehalten.
Darwin wurde von heftigen Beben erschüttert.
Es war das Ende des ersten Konferenztags. Die Teilnehmer kehrten
von den verschiedenen Lokalitäten, in denen sie zu Abend
gegessen hatten, zurück und strömten in die Hotelbar. Joan
saß auf einem Sofa, hatte die Füße auf den Tisch
gelegt und beobachtete die Leute, die sich mit Drinks, Joints und
Pillen in kleinen Gruppen versammelten und aufgeregt durcheinander
redeten.
Die Delegierten waren typische Akademiker, sagte Joan sich
amüsiert. Eine Kleiderordnung kannten sie nicht, sondern sie
waren ganz nach Gusto gekleidet. Man trug die signalorangefarbenen
Sakkos und grünen Hosen, die von Europäern wie
Holländern und Deutschen bevorzugt zu werden schienen, Sandalen,
T-Shirts und Shorts der kleinen kalifornischen Abordnung und sogar
ein paar ostentativ getragene Volkstrachten. Akademiker kokettierten
immer damit, dass sie einfach anzogen, was sie gerade aus dem
Kleiderschrank zogen, doch mit ihrer ›unbewussten‹ Wahl
gaben sie mehr über ihre Persönlichkeit preis als Leute,
die jeder Mode hinterher hechelten – wie zum Beispiel die Alison
Scotts dieser Welt.
Die Bar selbst war ein typisches Beispiel für die moderne
Konsum-/Unternehmenskultur, sagte Joan sich. An jeder
›intelligenten‹ Wand prangten Logos, Werbesprüche,
Nachrichten und Ausschnitte von Sportereignissen, und alle versuchten
sich gegenseitig zu übertönen. Selbst die Untersetzer auf
dem Tisch vor ihr spulten eine animierte Bier-Werbung nach der
anderen ab. Es war wie in einem Pandämonium. Jedoch war sie in
einer solchen Umgebung aufgewachsen, wenn man die friedliche Stille
bei den Ausgrabungen ihrer Mutter außer Acht ließ. Nach
diesem unheimlichen Zwischenspiel auf dem Flugfeld – dem Heulen
der Triebwerke, den entfernten Schüssen und der düsteren
mechanischen Realität – fühlte sie sich wie in Trance.
Dieses permanente dumpfe Brüllen war auf seine Art zwar
tröstlich, aber es hatte auch die tödliche Eigenart, einen
einzulullen.
Doch nun erfüllten die Bilder der sich verstärkenden
Eruption von Rabaul die smarten Wände und blendeten die Sport-
und Nachrichtenkanäle aus – sogar eine Live-Schaltung von
Ian Maughans Marssonde.
Alyce Sigurdardottir reichte Joan eine Soda. »Dieser junge
Aussie-Barman ist ein lecker Kerlchen«, sagte sie.
»Göttliche Haare und Zähne. Wäre ich vierzig
Jahre jünger, würde ich mich an ihn ranmachen.«
Joan nahm einen Schluck Soda und fragte Alyce: »Meinen Sie,
dass die Leute Angst haben?«
»Wovor – vorm Vulkanausbruch oder vor den Terroristen?
Im Moment halten Aufregung und Angst sich die Waage. Das könnte
sich aber bald schon ändern.«
»Ja. Alyce, hören Sie zu.« Joan beugte sich zu ihr
hinüber. »Die Ausgangssperre, die die Polizei wegen Rabaul
über uns verhängt hat…« Die offizielle Version
lautete, dass die Asche von Rabaul durch die Vermischung mit der
Asche der weiter entfernten Waldbrände eine schwach giftige
Substanz ergab. »Das ist aber nicht die ganze
Wahrheit.«
Alyce nickte, und ihr runzliges Gesicht verhärtete sich.
»Lassen Sie mich raten. Die Viert-Weltler.«
»Sie haben Windpocken-Bomben
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