Ewige Versuchung - 5
nicht gar dessen Kopf war. Vivian war nicht bei ihnen gewesen, als eine Gruppe Temple in seinem Versteck in Cornwall aufspürte, ihn vergiftete und gefangen nahm; aber mit ihrer herrlich duftenden Haut und ihrem flammend roten Haar bescherte sie ihm eine tägliche Qual, seit er hier war.
Ja, er sollte sie umbringen. Er könnte es jetzt gleich tun, sich an der Vene ihres langen schmalen Halses stärken und fliehen. Er sollte es tun.
Er sollte.
»Bist du wach?«, fragte sie ihn auf Englisch mit einem Akzent, der reif und frisch wie eine Ingwerspalte war.
Temple gab ein tiefes Knurren von sich und wandte langsam seinen Kopf zur Zellentür, als er hörte, wie der Schlüssel dagegengeschlagen wurde. Seine Augen öffnete er bloß ein wenig, um ihren klaren Glanz zu verbergen, an dem sie erkennen konnte, dass sein Körper sich an das Opium gewöhnt hatte. Mittlerweile wirkte es nicht stärker auf ihn als ein Glas Wein.
Wie günstig, dass weder Vivian noch ihrem Herrn und Meister dieses Detail über seinen Körper bekannt war. Indessen wussten sie sehr wohl, dass sie ihn lieber nicht aushungern sollten, weil er dann zu einer tödlichen Bedrohung würde.
Ein gerissener Haufen waren sie, die Leute vom Silberhandorden. Über die letzten Jahrzehnte waren sie kontinuierlich erstarkt, und mit den Mitgliederzahlen wuchs auch ihr Interesse an Vampiren – insbesondere an Temple und seinen Freunden. Er wusste nicht, was sie von ihm wollten, nur dass seine Neugier die Gefangennahme mit ermöglicht hatte. Er hätte sich besser verteidigen können, doch er wollte wissen, was sie vorhatten.
Und er hatte ihre Fähigkeiten maßlos unterschätzt. Bevor sie ihn mit ihrem Gift überwältigten, hatte er nur ein paar von ihnen getötet.
»Abendessen«, murmelte Vivian, während sie die Zellentür hinter sich schloss und den Schlüssel in ihre Tasche steckte. Bei sich trug sie eine Flasche, in der sich Blut befinden dürfte, sowie eine Waschschüssel. »Und Zeit für ein Bad.«
Ein Bad? Er erinnerte sich vage, dass jemand ihn gewaschen hatte. War sie es gewesen? Redete sie immer mit ihm? Das war in
dem Nebel untergegangen.
Seine Kiefer juckten bei ihrem Anblick, wie sie reif und leicht gerötet dastand. Sie wäre wie alter Whisky auf seiner Zunge: weich und rauchig, mit einer Hitze, die seine Adern flutete und sein Denken verwirrte.
Deshalb hatte er sie nicht umgebracht. Sie lockte ihn sirenengleich. Und das war mehr als körperliche Anziehung. Es kam ihm vor, als würde sie ihn buchstäblich mit einem Zauber belegen. Ja, sie war eine Hexe.
Mit vorsichtigen Schritten näherte sie sich ihm, ohne ein einziges Mal den Blick von ihm abzuwenden. Sie war nicht dumm und ihre Vorsicht angemessen. Wie war sie an Villiers geraten? In einer anderen Zeit, an einem anderen Ort hätte Temple sie angesprochen, ihr den Hof und sie zur seinen gemacht. Derlei romantische Bindungen mied er aus vielerlei Gründen, von denen der erste und triftigste Lucinda war. Der zweite war die seltsame Bindung, die er zu einem Menschen einging, dessen Blut er getrunken hatte. Sie wurde mit jedem Nähren stärker, bis diese Person letztlich so etwas wie ein Teil von ihm wurde. Seinen Gefährten schien solch ein Hemmnis fremd, was Temple größere Sorge bereitete, als er zugeben wollte.
Aber im Moment wollte er die »Gabe« bei Vivian nutzen, sehen, ob er ihr Herz, ihre Seele bloßlegen konnte. Als ginge sie ihm nicht schon genug unter die Haut!
Sie kam vom Kopfende her auf die Pritsche zu. Temple lag regungslos da, als sie ihm eine Handschelle am linken, dann eine zweite am rechten Handgelenk befestigte. Zweifellos hatte sie ihn schon vorher so gefesselt, im geschwächten, drogenbetäubten Zustand, aber jetzt könnte er die Fesseln mühelos durchbrechen.
Er war von Anfang an anders gewesen – ein bisschen stärker, ein bisschen schneller. Brownie sagte, es wäre etwas Magisches in seinem Blut, das ihn zum perfekten Vampir machte. Temple hatte es hartnäckig abgestritten, weil die anderen ihn bereits als Anführer betrachteten, aber im Moment war er froh darüber.
Sobald sie ihn gefesselt hatte, setzte Vivian sich neben die Pritsche. Ihr Duft flutete seine Sinne, machte ihn schwindliger, als es das Opium jemals könnte. Sie duftete nach Hoffnung, Freiheit und allem, was richtig und gut auf der Welt war. Das ergab überhaupt keinen Sinn!
Temples Kiefer begannen zu schmerzen, als sie seinen Kopf hob und den kühlen Flaschenhals an seinen Mund hielt. Blut. Es
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