Ewige Versuchung - 5
sprichst, als würdest du ihn achten, und trotzdem hältst du ihn als deinen Gefangenen.«
Ihre Frage verärgerte ihn anscheinend, denn er runzelte die Stirn; aber so schnell, wie sie gekommen war, schwand seine Wut auch wieder. Er verweigerte ihr die Auseinandersetzung, nach der ihr angespannter, verwirrter Geist sich sehnte. Verdammt! Nach Temples Biss fühlte sie sich unbefriedigt und leer. Ein Kampf wäre genau das richtige Heilmittel, aber wie es schien, würde kein Mann sie heute Abend befriedigen.
»Ich respektiere ihn. Er ist eine erstaunliche Kreatur mit vielen Fähigkeiten, von denen eine darin besteht, dass er uns mit dem kleinen Finger die Kehle herausreißen könnte. Möchtest du, dass ich ihn zum Tee heraufbitte?«
Vivian hegte keinen Zweifel, dass Temple zu dem fähig wäre, was Rupert schilderte. »Du willst mir nicht sagen, warum du ihn hergeholt hast, nicht wahr?« Zum ersten Mal hatte sie den Eindruck, Rupert nicht zu kennen. Hielt er sie ebenfalls für »gefährlich« und wenig vertrauenswürdig wie den Vampir unten im Keller?
Das freundliche Lächeln kehrte zurück, wenn auch mit kleinen Bedenkenfältchen oberhalb der Nasenwurzel, die auf schwindende Geduld hinwiesen. »Er bringt uns andere seiner Art.«
Vivian war überrascht. Sie hatte nicht erwartet, dass er es ihr erzählte. »Wie das?«
»Weil er ihr Anführer ist. Sie werden überall hingehen, wo er ist. Tatsächlich hörte ich, dass die meisten von ihnen in diesem Augenblick auf dem Weg nach Italien sind. Also, beruhigt dich diese Auskunft?«
Wie sollte sie? Sie ballte die Faust hinter ihrem Rücken, wobei sie die Empfindlichkeit ihres Handgelenks daran erinnerte, dass sie stark sein musste. »Was willst du mit ihnen anfangen?«
Sie kannte die Geschichte, die er ihr erzählte: dass vor Jahren ein Vampir die Frau entführt hatte, die er liebte und heiraten wollte. Doch erklärte dies nicht einen Rachefeldzug dieser Größenordnung, nicht, wenn Temple gar nicht der fragliche Vampir war.
»Das, meine Liebe, kann ich dir nicht offenlegen – nicht einmal dir. Aber vertraue mir, wenn ich dir sage, dass es dir beinahe so sehr zugutekommt wie mir.«
Dass er ihr auswich, traf sie tiefer, als sie es für möglich gehalten hätte. »Wie kann ich dir vertrauen, wenn du mir nicht traust?«
Er legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. »Gab ich dir jemals Grund, an mir zu zweifeln?«
»Nein«, antwortete sie beschämt. Rupert war stets nur gütig zu ihr gewesen.
Er setzte sich neben sie auf die Bank, lächelte sie ruhig an und legte einen Arm um ihre Schultern. »Ich weiß, dass du denkst, ich würde dir nicht trauen, weil ich dir nicht erzähle, was ich plane, aber je weniger du weißt, umso besser. Glaube mir, meine Liebe, wenn die Zeit gekommen ist, werde ich dir alles sagen. Bis dahin wisse, dass ich dir mein Leben anvertrauen würde.«
Vivian nickte. Ihre Köpfe waren sich so nahe, dass es sich seltsam intim anfühlte, mit ihm hier zu sitzen. All die Jahre, die sie bei ihm lebte, hatte sie nie das Gefühl gehabt, er würde sie als Frau ansehen, und manchmal war sie sich nicht einmal sicher gewesen, dass er ihr Geschlecht überhaupt wahrnahm. Und doch gab es Momente wie diesen, in denen sie den unangenehmen Eindruck hatte, Rupert würde sich zu ihr hingezogen fühlen.
Als er sie gerettet hatte, war sie zuerst in eine schreckliche Schwärmerei für ihn verfallen, doch er behandelte sie wie eine Ziehtochter. Heute sah sie ihn nicht bloß als einen Vater, sondern auch als Freund, so dass diese neue Empfindung sich anfühlte wie eine riesige Spinne, die ihr den Rücken hinunterkrabbelte.
»Du weißt, wie teuer du mir bist, nicht wahr, Vivian?« Ruperts Finger massierten ihre Schultern durch das dünne Leinen ihres Hemdes. »Mein Leben wäre leer ohne dich.«
»Ohne dich würde ich heute vielleicht nicht mehr leben«, murmelte sie und gestand damit, was sie beide wussten, worüber sie jedoch nie sprachen.
War es ihre Einbildung, oder rückte er noch näher? Was bedeutete dieses Leuchten in seinen halboffenen Augen?
Er wollte sie küssen! Das wusste sie genauso sicher wie sie wusste, wer sie war. Und sie konnte nur an Temple denken. Würde Temple es spüren, wenn Rupert sie küsste?
Ja, irgendwie würde er es wissen. Warum das etwas änderte, war unverständlich, aber es war durchaus erheblich.
»Ich muss gehen.« Sie stand auf und wich zurück, weg von der Berührung ihres Mentors und dem Versprechen seines Kusses. Das war
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