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Ewigkeit

Ewigkeit

Titel: Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Lanier mit all seiner Kraft in die Arme. Als ob er von einem kranken Kind gedrückt würde, stützte Lanier, dem fast die Tränen kamen, den Mann, dessen gelbliche Augen vor etwas wie Verehrung schimmerten, oder vielleicht auch nur Erleichterung und Freude.
    Ein Gewehrschuß ertönte, und die weibliche Teilnehmerin stürzte in den Schnee. Aus ihrer Brust sprudelte Blut.
    »Nein, nein!« schrie ein anderer Mann; aber weitere Schüsse rissen Rinde von den Bäumen, klatschten und prallten von der Hülle des Vehikels ab. Ein einzelner Mann mittleren Alters mit einem dichten schwarzen Bart, weniger abgezehrt als die anderen, der ein Gewehr trug, das noch besser genährt und fleischiger schien als er selbst, stand in der leeren Straße der Stadt und schimpfte laut: »Elf Jahre! Elf! Wo seid ihr Götter in diesen elf schrecklichen Jahren gewesen?«
    Der männliche Teilnehmer am Einsatz, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnerte, warf den Mann zu Boden mit einem heißen Kugelblitz aus ihrer einzigen Waffe. Lanier trat über die verwundete Kollegin und machte sich rasch ein Bild von ihrem Zustand. Sie würde nicht überleben, sofern sie nicht die Kugel der gespeicherten Persönlichkeit hinten aus ihrem Nacken entfernten. Lanier bückte sich und fühlte ihren Puls. Ihre Augen schlossen sich flatternd; die erste Phase des Todes war eingetreten. Er ignorierte seine Umgebung, zog ein Klappmesser und schlitzte den Nacken dicht unter dem Schädel auf, fühlte mit den Fingern nach der schwarzen Kugel, zog sie aus ihrer Fassung und ließ sie in einen kleinen Plastikbeutel gleiten, wie er es geübt hatte.
    Während er das tat, trampelten die Männer der Stadt den Gewehrschützen systematisch tot. Der männliche Einsatzteilnehmer versuchte, sie wegzuziehen, aber sie waren zwar schwach, jedoch zu Dutzenden gegen ihn allein. Der Mann, der Lanier in den Arm genommen hatte, sagte bei dieser Operation kein Wort. Er war über dieses Greuel maßlos entsetzt.
    Dann ließ er sich auf seine zerlumpten Knie nieder und flehte Lanier an, nicht ihre Stadt zu vernichten.
    Die Frauen und Kinder erschienen aus den Blockhütten, mehr tot als lebendig.
    Das Volk dieser improvisierten Stadt hatte elf Winter überlebt, sogar die ersten zwei harten Winter; aber diesen jetzt hätten sie nicht mehr durchgehalten.
    »Wem die Stunde schlägt«, murmelte er. Meine Frau ist vital und jung. Ich bin alt. Wir treffen unsere Entscheidungen und zahlen den Preis.
    Er blieb einen Moment mit fest geschlossenen Augen in der Diele stehen und versuchte, den Nebel aus seinem Kopf zu vertreiben. ›Wollesammeln‹ hatte sein Großvater das genannt. Das war in Neuseeland durchaus passend. Aber diese Wolle war verfilzt mit Dornen.
    Wir haben niemanden gerettet. Nicht einmal alle die starken und fähigsten. Der Tod war selbst für Engel vom Himmel zu umfassend, als daß allen Hilfe zuteil werden konnte.
    Er hatte sich über solche Dinge seit Jahrzehnten nicht mehr gekümmert, und es reizte ihn, daß ihm diese Gedanken jetzt kamen wie blasse Schemen für eine Schuld, die er seiner Meinung nach nicht empfinden sollte. Ich habe meinen Job getan. Gott weiß, daß ich dreißig Jahre der Wiederherstellung gewidmet habe.
    Auch Karen hatte das getan. Sie sah aber nicht aus wie ein abgewetzter Teppichfetzen.
    Er nahm seinen Stock und öffnete die Tür. Über ihm zogen noch graue Wolken. Falls er eine Lungenentzündung – den Freund der Greise – bekommen würde, könnte er das gern versuchen. Aber zu den Wohltaten, die allen Alten Eingeborenen vom Terrestrischen Hexamon zuteil geworden waren, gehörte auch Freiheit von fast allen Krankheiten. Ihre Hilfsmittel in dieser Hinsicht waren umfassend gewesen. Jeder auf der Erde, ob Mann, Frau oder Kind, trug Organismen in sich, die ihre Körper wie eine Polizei gegen alle möglichen Angreifer von außen schützten.
    Er sah sich flüchtig in dem Glas des Windfangs der Veranda – ein kräftiges Gesicht, aber mit tiefen Falten, die Linien um seinen Mund nach unten gezogen, Runzeln zu beiden Seiten der Nase, traurige Augen mit schlaffen oberen Lidern, die ihn weltlich weise erscheinen ließen. Mit einer Mischung aus Genugtuung und perversem Widerwillen merkte er, daß er sich älter fühlte, als er aussah.
     
    Lanier bedauerte, daß er sich fest vorgenommen hatte, das erste Stück der steilen, gewundenen Bergstraße zu erklimmen, ohne auszuruhen. Bei der zweiten Krümmung des Bergpfades kippte er vornüber, faßte mit den Händen seine

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