Ewigkeit
zitternden Knie und schnappte stoßweise nach Luft, wobei ihm Schweiß von der Stirn rann. Er hatte seit Jahren kaum noch Berge erklettert oder entsprechend trainiert; und wenn er sein Leben nicht gewaltsam beenden wollte, war eine Überanstrengung bei seiner ersten langen Tour ein törichter Aufwand. Die Wunder der Hexamon-Medizin konnten nur das tun, was er ihnen gestattete. Sie konnten ihn für sein Alter in vernünftigem Maße bei Kräften und frei von Krankheiten halten und ohne Schäden durch zu starke Strahlung, vor der er sich arg fürchtete.
Als er wieder zu Atem kam und den Schmerz unter Kontrolle hatte, blickte er von dem abschüssigen Weg hinab in den dreihundert Meter tiefer gelegenen Talboden. Schafherden – vielleicht gehörten sie Fremont, dem Juniorchef der Irishman Creek Station – zogen über die grün und sonnengelb gefleckten Wiesen. Wie ein Echo glitten schwere, graue und weiße Regenwolken über ihre eigenen staubblauen Weidegründe dahin. In der Höhe stieg ein Adler empor, der erste, den er in dieser Saison gesehen hatte. Der Wind war in der Höhe kalt und schneidend selbst im Novemberfrühling. Tausend und mehr Meter höher waren auf dem Berg noch Schneeflecken, gesprenkelt mit den unvermeidlichen zarten scharlachroten Pilzen, die Schäfer und Bauern Christusblut nannten.
Schließlich gestattete er sich, auf einem Felsen Platz zu nehmen. Seine Unterschenkel schmerzten, und die Muskeln der Fußgelenke drohten sich zu verkrampfen. Aber zum erstenmal seit Monaten, vielleicht sogar seit Jahren, fühlte er sich wirklich recht gut und irgendwie in seiner Existenz bestätigt.
Der Wind rief seinen Namen. Erstaunt wandte er sich um und hielt Ausschau nach einem Bergsteiger oder Hirten auf dem Pfad über oder unter ihm, sah aber niemanden. Er gab sich damit zufrieden, daß der Ton eine Illusion gewesen wäre, holte eine Stulle mit Ziegenkäse aus dem Rucksack, wickelte sie aus und fing an zu essen.
Da rief der Wind ihn wieder, diesmal deutlicher und aus größerer Nähe. Er stand auf und musterte beunruhigt den Weg über ihm. Der Ruf war aus dieser Richtung gekommen, dessen war er sich sicher. Er packte das Sandwich wieder ein, ging um die zweite Kurve und hundert Meter weiter hinauf. Seine Stiefel knirschten im Kies und rutschten auf saftigem Gras aus, das noch feucht vom Tau war. Er war auf dem Pfad allein.
Er sang, um den Rhythmus zu halten, machte Pause, um wieder zu Atem zu kommen und ließ die saubere Luft ins Blut strömen und seinen Geist von Spinnenweben reinigen, die er durch monatelanges Stubenhocken angesammelt hatte.
Er mußte sich über seine Lage klar werden.
Während er seine Mitmenschen bedauerte, hatte er auch begonnen, sie zu hassen. Es schien, daß sie in ihrer Agonie zumeist auf eine Weise um sich schlugen, die die Lage nur verschlechterte. Manchmal hatten solche, denen das Schicksal besonders übel mitgespielt hatte – durch Verlust von Heimen, Familien, Städten und Nationen –, darauf reagiert, daß sie andere Überlebende noch grausamer behandelten.
Die Lieblingslektüre Laniers war in letzter Zeit Arthur Koestler gewesen, ein Philosoph und Romanautor des zwanzigsten Jahrhunderts, der die Menschheit für eine völlige Fehlkonstruktion gehalten hatte. Lanier hatte da kaum Zweifel.
Er hatte gesehen, wie Männer, Frauen und sogar Kinder tiefer psychologischer Sondierung und sogar Behandlungen unterzogen wurden, indem man ihre Dämonen herauspflückte und sie besser angepaßt und besser imstande, der Realität um sie entgegenzutreten, entließ. Lanier hatte in der Diskussion über solche ›Heilverfahren‹ einfach geschwiegen. Die Behandlungen hatten die Wiederherstellung um Dekaden verkürzt, aber trotzdem konnte er sich nicht entschließen, sie zu billigen. Waren menschliche Wesen so schwache, schlecht konstruierte Maschinen, daß nur so wenige sich selbst heilen konnten und zur Selbstdiagnose und Selbstkritik imstande waren? Offenbar. Er war Pessimist geworden, vielleicht sogar Zyniker; aber ein Teil von ihm haßte Zynismus. Darum war er mit sich selbst unzufrieden – quod erat demonstrandum.
Ein weiter Wolkenmantel trieb über das Land mit einem runden Loch genau in der Mitte. Er nahm wieder auf dem Fels am Wege Platz und blinzelte in den breiten Streifen grellen Sonnenlichts, der durch das Tal zog. So voller Wärme, so hypnotisch war dieser kilometerbreite Fleck! Wenn er seinen Geist einfach ruhen ließ, könnte Sonnenschein auf Gras alle seine Fragen
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