EwigLeid
natürlich. Verständlich. Aber sie würde nicht zweimal den gleichen Fehler begehen. Jetzt hatte sie die Chance, sich zu beweisen und näher zu einer Führungsposition im Justizministerium aufzurücken.
Sie war von Herzen gern Special Agent. Liebte den aktiven Kampf gegen das Verbrechen. Doch als Frau würde sie in diesem Bereich niemals in eine nennenswerte Machtposition aufsteigen, ganz gleich, wie gut sie war. Auf der oberen Führungsebene dagegen würde sie über die nötige Macht verfügen, um mehr für den Schutz der Bevölkerung bewirken zu können. Und irgendwie wurde eine mächtige Frau in einem politischen Amt nicht so negativ bewertet wie eine mächtige Frau im aktiven Dienst. Wer weiß? Vielleicht würde man ihr endlich Respekt zollen und ihr mehr Auszeiten für die Beschäftigung mit anderen Dingen gewähren.
Mit einem Privatleben zum Beispiel.
Verächtlich schnaubte sie und ging ins Esszimmer, wo der Tisch mit Akten übersätwar. Ein Privatleben? Irgendwann vielleicht mal, doch jetzt musste sie sich auf die Arbeit konzentrieren.
Carrie hatte am Vorabend mit dem Lesen der Akten begonnen, und ihr blieb noch genau ein Tag, damit sie auf dem neusten Stand war, bevor sie Commander Stevens Bericht erstatten und ihm ihre Überlegungen unterbreiten musste. Erst wenn sie ihre Kenntnis unter Beweis gestellt und eine detaillierte Strategie vorgelegt hatte, würde Stevens die Übertragung des Falls endgültig absegnen.
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor acht Uhr morgens. Ihr blieb noch viel Zeit für die weiteren Recherchen. Doch Mac hatte sie gebeten, gegen sechs Uhr bei McGill’s vorbeizuschauen. Er und Natalie Jones hatten heimlich geheiratet, und Carrie freute sich aufrichtig für das Paar, obwohl sie einmal in den engagierten SIG-Agenten verknallt gewesen war. Allerdings hatte sie überhaupt keine Lust, die Hochzeit in einer Bar zu feiern. Noch dazu in der Bar, in der sie Jase Tyler zuletzt begegnet war und wo er sie trotz der Anwesenheit seiner Freundin angemacht hatte. Arbeit wäre die perfekte Ausrede für eine Absage.
Aber sie kam sich feige vor. Noch feiger als ohnehin schon.
Nicht nur der tödliche Schuss auf Kevin Porter war schuld daran, dass sie ihren Mumm hinterfragte. Im Lauf des vergangenen Jahres war ihr etwas von der Begeisterung für ihren Beruf, bisher ihre größte Antriebskraft, abhandengekommen. Mehr und mehr bedrückte sie das Wissen, dass trotz all ihrer Bemühungen immer wieder neue Opfer auf Gerechtigkeit warteten. Ihr wurde immer deutlicher bewusst, dass die Guten offenbar den Kampf verlieren würden. Zu allem Übel hatte sie sich auch noch von persönlichen Problemen ablenken lassen, war vor ihren immer stärker werdenden Gefühlen für Jase davongelaufen und hatte sich gleichzeitig darüber geärgert, dass es überhaupt so weit gekommen war.
Ob er sie küssen dürfte, hatte er sie vor McGill’s Bar gefragt. Sie hätte so liebend gern Ja gesagt, allerdings verlangten zu viele Gründe ein Nein.
Numero eins: Sie arbeiteten zusammen.
Numero zwei: Jase war ein Aufreißer. Selbst wenn sie mit den Frauen, die er bevorzugte, hätte konkurrieren können, was nicht der Fall war, wusste sie doch nicht, wie sie, falls sie sich wirklich mit ihm einließ, das unvermeidliche Ende der Affäre verkraften würde.
Numero drei: Sie konnte nicht glauben, dass er sie um ihrer selbst willen begehrte und nicht nur deswegen, weil sie eine Herausforderung darstellte oder weil er ihr einen Dämpfer verpassen wollte. Deshalb war sie lieber gleich gegangen. Zehn Minuten später hatte sie Kevin Porter bei einem Einbruchsversuch erwischt.
Hier schließt sich der Kreis, dachte sie. Die unmittelbar aufeinanderfolgenden Konfrontationen mit Jase und Porter zeigten eines ganz gewiss: Sie mochte hadern, wünschen, dass alles anders wäre, aber letztendlich konnte sie doch die weiche, begehrenswerte Frau in ihr nie mit der hartgesottenen, ehrgeizigen Polizistin vereinbaren. Sie musste sich entscheiden. Immer musste sie sich entscheiden.
Und wenn die Polizistin in ihr nun mal so viel besser war als die Frau? Nun, dann sollte sie sich weiterhin auf ihre Arbeit konzentrieren.
Sie schüttelte den Kopf, pustete sich das Haar aus dem Gesicht und setzte sich an den Esstisch. Und dann gab es nur noch diesen Fall. Stunden vergingen. Sie legte eine kurze Pause ein, um ihre physiotherapeutischen Übungen zu absolvieren und etwas zu essen, dann widmete sie sich wieder dem letzten Mord des
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