Ex en Provence
oder sonst irgendwie nicht zu erkennen. Denn als Jean-Yves die fünfte Zeitschrift mit so einfallsreichen Titeln wie »Abnehmen in Rekordgeschwindigkeit«, »So purzeln die Pfunde in null Komma nix« und »Der schnelle Weg zur Traumfigur« unter seinen Kassen-Scanner hält, kann er sich ein Grinsen natürlich nicht verkneifen. Zumindest sagt er nichts. Professionelle Schweigepflicht, nehme ich an.
Weil der Diätplan ja noch nicht bekannt war, habe ich heute Morgen schon einmal heroisch auf mein Schokobrötchen verzichtet. Sicher ist sicher – das Gebäck wird mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit im Menüplan nicht vorgesehen sein.
Seufz.
Nach dem Ausflug zum Zeitschriftenladen räume ich zu Hause noch schnell Jules Frühstückstisch ab und werfe das überzählige »pain au chocolat« ins Gefrierfach unseres Kühlschranks.
Doppelseufz.
Dann koche ich mir einen leckeren Tee, ignoriere meinen knurrenden Magen so gut es geht und studiere die Zeitschriften. Leider erweisen sich die aber schon nach kurzer Zeit als absolute Fehlinvestition. Denn was dort an DiätVorschlägen zu finden ist, hat mit Essen nicht viel zu tun. Der Trick der Französinnen besteht offenbar eher darin, beim Kochen von eigentlich gar nichts so viel Zeit zu verschwenden, dass man stundenlang beschäftigt ist und erst gar nicht zum Essen kommt.
Die Rezeptvorschläge beschränken sich auf:
– ein Blättchen Salat mit Kirschtomätchen an einem Streifen in Zitronensaft marinierter Putenbrust zum Mittag,
– zum Abendessen eine »Suppe« aus viel Wasser, einem halben Lauchstängelchen und sehr viel Petersilie, Koriander, Rosmarin, Minze und allerlei anderem Grünzeug, das zu einer Mischung aus Schonkostbrühe und Magen-Tee verrührt wird,
– ab dem zweiten Tag darf man sich zum Frühstück einen ganzen Apfel genehmigen, aber bitte gedünstet. Der Sinn ist wohl, dass man nicht gleich am Morgen auf dumme Gedanken kommt und etwa – statt einen Apfel zu dünsten – in ein Schokobrötchen beißt.
Seufz, seufz, seufz!
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Mittwoch, 6. Oktober
Inzwischen habe ich den französischen Intensivkoch-Diätplan aufgegeben und esse einfach gar nichts mehr. Jule hat wie jeden Mittwoch schulfrei und realisiert beim Mittagessen, dass irgendetwas nicht stimmt.
»Hast du gar keinen Hunger, Mama?«
Doch, und wie!
»Nö, Schatz, mir ist ein bisschen übel.«
»Oh, hast du zu viele Süßigkeiten gegessen?«
Langfristig gesehen auf jeden Fall.
»Nein, ich glaube nicht. Vielleicht habe ich mir eine Magen-Darm-Grippe eingefangen.«
»Iieeeh, so richtig? Mit allem? Kriege ich das jetzt auch?«
»Nein, nein, keine Sorge. Das ist eine spezielle Sorte, die bekommen nur Erwachsene.«
»Hm. Weißt du was, Mama? Wenn du krank bist, dann musst du aber ins Bett.«
»Nein, Julchen, ist schon okay.«
»Doch, wer krank ist, gehört ins Bett«, erklärt Jule entschlossen.
Wo habe ich das nur schon mal gehört?
Und was antwortet Jule in solchen Fällen doch gleich?
»Och, Jule, kann ich nicht wenigstens auf dem Sofa bleiben?«, bettele ich. »Und ein klitzekleines bisschen fernsehen?«
»Ja, toll! Ich mache mit. Leg dich schon mal hin.« Jule schiebt mich aufs Sofa. »Ich koche dir erst noch einen Tee.«
»Vielen Dank, mein Schatz«, rufe ich ihr in die Küche hinterher. »Ist aber eigentlich gar nicht nötig.«
»Schon fertig!« Jule stellt mir eine Tasse mit kaltem Wasser hin, in das sie alle Gewürze geschüttet hat, die sie offenbar in der Küche finden konnte.
Sieht aus wie die Diät-Suppe aus dieser Zeitschrift.
»Mh, lecker.«
Jule saust wieder aus dem Wohnzimmer. Ich nutze die Gelegenheit und schütte gut die Hälfte des »Tees« in den Topf der Yucca-Palme neben dem Sofa.
Jule ist noch schneller zurück, als ich befürchtet hatte. »Was machst du denn da, Mama?«
»Och, ich sehe nur nach, ob die Palme genug Wasser hat. Ist aber alles in Ordnung.«
»Hm«, murmelt Jule mit misstrauischem Blick. »Hier, da hast du noch eine Wärmflasche.« Mit einem unangenehmen Klatsch landet eine ziemlich nasse und dazu ebenfalls kalte »Wärmflasche« auf meinem Bauch.
»Oh, das tut gut.«
Zufrieden hüpft Jule zu mir aufs Sofa, schnappt sich die Fernbedienung und zappt durch die Kanäle. Wir einigen uns ganz demokratisch (Jule hat doppeltes Stimmrecht, da ich ja krank und deshalb auch nur halb zurechnungsfähig bin) auf KiKa, der uns Einwanderern dank Monsieur Croizets Satellitenschüssel heute eine Auszeit von unseren Integrationsbemühungen
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