Ex en Provence
Tage noch – ab morgen. Und jetzt vernichte ich lieber noch schnell die Schokokekse, die Jule und Chloé vom »goûter« übrig gelassen haben. Dann kommen sie mir morgen, wenn es ernst wird mit der Diät, nicht in die Quere. Und diese beiden Schokokugeln müssen auch weg. Hmmm.
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18:31
Bereits vor einer halben Stunde hätte Eric Leroy seine Tochter bei uns abholen sollen. Schon zweimal habe ich ihn angerufen, aber nur Anrufbeantworter und Handy-Mailbox erreicht. Ich stehe auf dem Balkon und halte nervös Ausschau. Wenn er nicht gleich auftaucht, nehme ich Chloé einfach mit zum Kinderarzt. Dann sind wir eben nicht da, wenn er sich denn endlich herbequemt. Soll er sich doch ruhig mal ein bisschen Sorgen machen, dieser dreiste …
Aha! Da ist er ja. Mit mindestens zehn Baguettes unter dem Arm (Madame Croizet hatte Recht: ein »Einfrierer«) spaziert er aus der Bäckerei und steuert dann in aller Ruhe unsere Haustür an.
Noch bevor er klingeln kann, bin ich schon unten und öffne ihm die Haustür.
»Bonjour« ist alles, was er herausbringt.
Wie wäre es mit: Entschuldigung für die Verspätung?
»Bonjour. Ist ja ein bisschen später geworden, nicht wahr?« Ich blicke demonstrativ auf meine Uhr. »Ich selbst schätze es ja eigentlich nicht so, auf die letzte Minute zu erscheinen …«
… wie ich vor ziemlich genau zwei Stunden zuletzt festgestellt habe, als ich Jule und Chloé in der Schule gerade noch vor der automatischen Abschiebung aller übriggebliebenen Kinder in den Nachmittagshort abgefangen habe. Ähem.
»Ich hole schnell Chloé, damit wir dann gleich loskönnen. Wie Sie wissen, haben wir ja einen Termin bei …«
»Ja, ja«, sagt er und drängt sich an mir vorbei, die Treppe hinauf.
»Hey, Moment mal. Was machen Sie denn?«
»Ich hole Chloé ab, das wollten Sie doch so dringend.«
»Aber …«
Idiot!
Oben in der Wohnung marschiert er zielstrebig in Jules Zimmer.
»Papaaaaa!« Chloé fällt ihrem Vater um den Hals.
Tolle Show.
»Eriiiiic!« Jule tut dasselbe.
Hm.
»Eric, los, wir spielen ein bisschen«, sagt Jule in ganz passablem Französisch und zeigt auf den Fußballtisch.
»Können Sie das bitte mal halten?« Eric drückt mir seine Baguette-Tüte in die Hand und übernimmt die blaue Mannschaft.
Aber …
»Hören Sie, Jule hat einen wichtigen Termin bei der Kinderärztin, der nicht einfach zu bekommen war …«
… dafür musste ich meine allerletzten Französisch-Reserven mobilisieren und gehörig auf die Tränendrüse drücken!
»Einen regulären Termin gibt es erst im Frühjahr wieder. Wenn wir den heute also verpassen …«
Jule und Chloé brüllen wie ein ganzer Fanclub, während sie die roten Fußballer dirigieren. Chloé sieht mit ihrem Prinzessinnen-Look am Kicker eigentlich recht witzig aus, nur leider ist mir gerade nicht so zum Lachen zumute.
»Hallo? Hören Sie mich?«, frage ich Eric. »Wir müssen jetzt lohoooos!«
»Tor!«, entgegnet Eric, einsilbig wie immer.
»Jetzt reicht’s.« Ich schnappe mir den Ball und stecke ihn in meine Hosentasche. Unter Jules lautem Protest schiebe ich die Mädchen aus der Wohnung, Eric folgt uns schweigend – ein bisschen vorwurfsvoll, aber irgendwie auch amüsiert – einmal quer durch unsere Wohnung bis zum oberen Treppenabsatz.
»Hier entlang.« Ich zeige zur Haustür am unteren Ende der Treppe – und habe leider vergessen, dass ich immer noch diese riesige Baguette-Tüte in der Hand halte. Sie entgleitet mir, und Eric Leroys Brote rattern eins nach dem anderen in einer hübschen Baguette-Lawine unsere Holztreppe herunter und kommen zwischen meinen immer noch eher jungfräulich aussehenden Joggingschuhen und den ehemals grünen Converse zum Stillstand.
»Mama! Das sind doch die Schuhe, mit denen du in die Hundeschei…«
»Jule!«
»Aber das stimmt doch«, insistiert Jule auf Deutsch.
Währenddessen geht Eric ganz ruhig die Treppe hinunter, sammelt die Brote auf und erklärt wie neulich vor der Schule schon: »Ein bisschen Dreck härtet ab.«
Bon appetit!
Le Plat Principal
(Das Hauptgericht)
9. Kapitel
Einen Tag danach, Dienstag, 5. Oktober, gegen neun Uhr
Auf dem Heimweg
Das Schönheits-Crashprogramm vor meinem Rendezvous im »Le Cinq« beginnt. Auf dem Rückweg von Jules Schule decke ich mich im Zigarettenladen gegenüber als Erstes mit einschlägiger Literatur ein, um mir die effektivste Schnelldiät auszusuchen. Am liebsten wäre es mir ja, die Titelgeschichten der Magazine wären verhüllt, geschwärzt
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