Ex en Provence
auf dem Heimweg sein, aber selbst unter dem Kommando einer Direktorin wie Madame Guillotin hat diese Lehrerkonferenz fast doppelt so lange gedauert wie geplant. Das Aushängeschild der Schule ist, dass hier ausschließlich Muttersprachler unterrichten. Eine sehr internationale und spannende Atmosphäre also, die aber einer Standardkonferenz leicht den Anstrich und das Ausmaß einer UNO -Vollversammlung geben kann.
Nur zum Thema »Tag der offenen Tür« gab es noch nicht viel zu sagen, was Hugh alias Philippe aber elegant überspielt hat. Doch ich fürchte, langsam müssen wir uns mal ernsthaft Gedanken machen über diesen Auftrag. Allerdings nicht heute, denn ich muss jetzt wirklich ganz dringend los.
Eilig raffe ich also meine Unterlagen zusammen und mache mich auf den Weg zum Ausgang des Lehrerzimmers. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich Philippe im allgemeinen Aufbruch den Weg durch die Kollegen bahnt. Immer wieder wird er aufgehalten, weil jemand mit ihm sprechen will. Doch er vertröstet sie alle entschlossen, aber mit einem charmanten Lächeln, und fängt mich kurz vor der Tür ab.
»Moment!«, ruft er und legt wieder einmal seine Hand auf meine Schulter.
Selbstredend sind jetzt alle Blicke auf uns gerichtet: die der zahlreichen und größtenteils natürlich grandios aussehenden Französinnen, der anderen, überwiegend weiblichen Kollegen aus England, Spanien, Italien, Portugal, Holland und Ungarn mit beruhigend durchschnittlicher Optik sowie einiger Herren aus Russland, China, Japan sowie dem arabischen Sprachraum – und die strengen Augen Madame Guillotins.
»Wir müssen dringend einen Termin vereinbaren, um unser Projekt in die Wege zu leiten«, erklärt Philippe ziemlich laut und ganz offensichtlich mindestens genauso für Madame Guillotins Ohren wie für meine bestimmt. Dann fügt er auf Deutsch und mit etwas gesenkter Stimme hinzu: »Eigentlisch möschte isch disch endlisch einladden zum Essenn. Isch darf doch saggen du, odder?«
Hoppla.
Reflexartig drehe ich mich um. Das muss ja nun nicht gleich die ganze Schule wissen. Aber bei diesen vielen »schschschsch« kann ihn eigentlich kaum jemand mit nur durchschnittlichen Deutschkenntnissen verstanden haben. Und ich bin die einzige Deutsche hier.
Die übrigen Nationen blicken mehr oder weniger unverhohlen zu uns herüber. Ich fühle mich ein bisschen wie in diesen Highschool-Filmen, in denen die Dicke mit der Hornbrille überraschend vom Schul-Casanova aufgefordert wird, ihn zum Abschlussball zu begleiten.
Wahrscheinlich steuere ich jetzt direkt auf den unvermeidbar tragischen Höhepunkt der Story zu, wenn Philippe gleich unter dem hämischen Lachen meiner Kolleginnen erklärt: »Das war natürlich nur ein Scherz! Hattest du etwa wirklich geglaubt, ich würde mit so einer Teutonen-Tonne wie dir essen gehen wollen?«
Ach, nein, so etwas tut ein Amnesty-Aktivist nicht.
»Isch war serr ent-täuscht, dass es das letste Mall at nischt geklappt«, fügt er ernst hinzu.
Na bitte!
Mein Film geht also so weiter: Der von überirdischen Beautys verfolgte Typ ist seiner eintönigen Fan-Gemeinde endgültig überdrüssig und erkennt die inneren Werte der grauen Maus.
»Wann ast du Seit?«, erkundigt sich Philippe und zückt sein Handy, eines dieser iPhone-ähnlichen Supertelefone, und konsultiert seinen Terminkalender. Eigentlich habe ich ja seit Ralphs folgenreicher SMS -Panne eine gewisse Allergie gegen diese Smartphones, die wohl notorisch smarter sind als – zumindest – ihre mir bekannten männlichen Besitzer.
Doch jetzt liebkost Philippe mit seinen schmalen Fingern den kleinen Bildschirm so, dass ich diese – und überhaupt alle sonstigen – Bedenken in meinem Hirn einfach wegklicke. Außerdem geht es ja eigentlich um diesen Tag der offenen Tür, bei dem ich meine Karriere ein gutes Stück vorantreiben kann. Und den kann man ja durchaus auch bei einem kleinen Geschäftsessen planen.
»Andscha? Was ist? Wiellst du mit mier – wie saggt man – ge-en aus?«
Ouiiiii!
»Äh, also …«
Der Highschool-Film in meinem Kopf nähert sich jetzt dem ultimativen Happy-End, denn wie üblich entfaltet die graue Maus kurz nach ihrer Entdeckung durch den Schulstar ihre ganze Schönheit. Meine Schwester und meine Mutter würden mich für diese reaktionären Fantasien bestrafen – die eine mit zehn Kilometer Berglauf, die andere mit zwei Stunden Musik von Janis Joplin per iPod-Kopfhörer direkt ans Trommelfell.
»Andscha, ast du misch ge-öhrt?«, fragt
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