Ex en Provence
hier bei uns in Frankreich Größe 44.«
Diskriminierung!
»Ach, tatsächlich?«
»Ja, ja, wissen Sie, ich habe immer wieder deutsche Touristinnen unter meinen Kunden. Und da habe ich diese Erfahrung auch schon öfter gemacht: Die Damen verlangten Größe 38, und wir mussten eine Größe darüber nehmen, oder sie wollten 40 und kauften schließlich 42, und …«
Na, dann gib mir eben 44, du Hungerhaken!
»… jedenfalls habe ich mich dann mal erkundigt: Man hat da wohl den unterschiedlichen Körperbau berücksichtigt und die deutschen Größen etwas, sagen wir mal, voluminöser angelegt.«
»Aha. Dann müsste ich es wohl mit 44 probieren.«
»Ja, so ist es. Aber, leider, leider führen wir nur die Größen 34 bis 40, in Einzelstücken auch mal 42. Aber 44? Nein, so etwas verkauft sich hier einfach zu selten. Das verstehen Sie doch sicher.«
»Natürlich.«
Jetzt würde ich natürlich gern demonstrativ auf neuen, sehr französischen Absätzen kehrtmachen. Aber das Schuhgeschäft kommt erst nach diesem wirklich überaus schlecht sortierten Laden dran. Gern hätte ich der gut informierten Fachverkäuferin auch die Meinung gesagt, aber dazu fehlen mir leider dummerweise mal wieder die passenden Französisch-Vokabeln – und vor allem die Kraft. Mit ein paar doch noch irgendwo mobilisierten Kalorien stemme ich mich also aus dem Sessel hoch und schleppe mich in Richtung Ausgang.
Die Verkäuferin eilt mir voraus und öffnet die Tür. »Eine meiner Freundinnen arbeitet übrigens in einer seeeehr netten Boutique für seeeeehr exklusive Umstandskleidung«, zwitschert sie. »Wenn ich Ihnen die Karte mit der Adresse überreichen darf …«
»Oh, das dürfen Sie, vielen Dank«, antworte ich, stecke die Karte dem Porzellan-Panther neben mir ins Maul und schreite mit so erhobenem Haupt, wie es meine akute Unterzuckerung eben zulässt, ins Schuhgeschäft zwei Häuser weiter.
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Einen Tag später, Samstag, 9. Oktober
Zwei-und-vierzig … die Zahl bringt mir im Moment irgendwie Unglück. Kleidergröße 42 ist in Frankreich ja schon kritisch, aber Schuh größe 42 ist einfach hoffnungslos.
Denn mit den Pumps sah es erwartungsgemäß schlecht aus – in der Herrenabteilung. Dahin nämlich hat mich gestern die Schuhverkäuferin mit einem Augenzwinkern geschickt, als ich ihr meine Schuhgröße gestanden hatte.
So richtig kann ich es also nicht genießen, dass ich kurz vor meinem »Geschäftsessen« mit Philippe problemlos in mein Benchmark-Kleid passe. Meine elegantesten Pumps, in die ich notgedrungen gerade schlüpfe, erscheinen mir plötzlich klobig wie die legendären Schweinsleder-Halbschuhe, die mich damals durch die Oberstufe bis zum Abitur begleitet haben und die mir meine Schwester immer als »kanadische Waldbrandaustreter« madig gemacht hat.
»Mama, warum hast du denn so lange Fingernägel?«, erkundigt sich jetzt auch noch Jule, während sie misstrauisch meine frisch manikürten Finger betrachtet.
»Das ist der Trend aus Paris«, erkläre ich, wie es mir die Dame im Schönheitssalon erläutert hatte.
»Hm.« Jule sieht mich verständnislos an. Ihr Blick bleibt an meinen Augen hängen. Kein Wunder, denn die Kosmetikerin hatte mich nach Finger-und Fußnägel-Dekoration sowie Epilation allen ihrer Ansicht nach überflüssigen Haarwuchses noch zur Tönung meiner Wimpern überredet. Auch ich war mir danach beim Blick in den Spiegel zunächst etwas fremd.
»Mama, warum hast du denn so große Augen?«
Ich höre schon, wie Jule gleich ihr Verhör im Rotkäppchen-Stil fortsetzen wird, und füge deshalb vorausschauend und möglichst überzeugend hinzu: »Das soll schön aussehen.«
Dabei bin ich mir selbst über Erfolg, Misserfolg und den Sinn meiner Rundumüberholungs-Blitzkur erst recht nicht so ganz sicher.
»Hm«, sagt Jule wieder und verschwindet in ihrem Zimmer – nicht ohne zum wohl zwanzigsten Mal zu erklären, dass sie den heutigen Abend eigentlich wirklich nicht mit Garance verbringen will.
Die Tages-beziehungsweise Abendmutter meiner Tochter sah das zunächst ganz ähnlich: Eigentlich betreue sie Jule ja nur, wenn ich in der Woche abends unterrichten müsse, sagte sie bei meiner Anfrage. Aber dann hat sie für mein »Geschäftsessen« doch eine großzügige Ausnahme gemacht – die sie sich mit einem Wochenendzuschlag auch üppig bezahlen lassen will.
Ja, mit Jule und Garance läuft es weiterhin nur sehr mäßig. Anfangs mochte ich Garances zupackende Art noch, die gewisse Strenge, ihre Konsequenz –
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