Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
EXCESS - Verschwörung zur Weltregierung

EXCESS - Verschwörung zur Weltregierung

Titel: EXCESS - Verschwörung zur Weltregierung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Frey
Vom Netzwerk:
nur die Zeitung lesen – war in Wirklichkeit sehr komplex. Auf beiden Seiten des Atlantiks kämpften Repräsentanten verschiedener politischer Strömungen um Einfluss.
       Nachdem die neokonservative Bewegung – die Mutter aller Versager, wie Isler es einmal formuliert hatte – den Politikbetrieb mit hochrotem Kopf und auf Zehenspitzen durch die Hintertür verlassen hatte, schaffte es Präsidentin Jeanne Adams, international neues Vertrauen und Ansehen für die USA zu gewinnen. Aber ihre Politik der Kooperation wurde regelmäßig von Scharfmachern torpediert. Einige davon konnten sich nicht mehr daran erinnern, sich vor Jahren noch stolz als Neokonservative bezeichnet zu haben. Gleichzeitig unterminierten führende Kräfte in der EU-Hierarchie die mit Augenmaß geführte US-Politik der französischen und deutschen Regierungen, während sich Großbritannien bedeckt hielt. Es war nicht immer klar, welche Fraktion gerade die Oberhand hatte. Noch viel unklarer war, wie sich die nächste Zukunft entwickeln würde. Isler registrierte in gewissen Kreisen der EU eine besorgniserregende Entwicklung, die er »finalen Antiamerikanismus« nannte. Selbst Jeanne Adams, die betont viel Zeit in das Kitten des außenpolitischen Verhältnisses investierte, zu viel in den Augen der Scharfmacher, konnte diese USA-feindliche Stimmung nur teilweise durchbrechen.
       Die Geschichte der USA – Schwesterrepublik der Schweiz – hatte es dem Analytiker seit seinen Teenagerjahren angetan. Er lebte auf, wenn seine Expertise in Bern gefragt war.
       Zwischen der Gemüseabteilung und den Backwaren entschied Isler, seinem Freund und Mentor Pater Aurelius vom Benediktinerkloster Disentis bald einen Besuch abzustatten. Pater Aurelius, über achtzig Jahre alt, körperlich etwas gebrechlich, aber geistig topfit, flößte seiner Umwelt allein durch seine bloße Anwesenheit Respekt ein. Sein schlohweißes volles Haar, das meist ein wildes Eigenleben führte, sein schmales Gesicht, die rosige Haut, seine bedächtigen Bewegungen, die Wortkargheit, die er nur durchbrach, wenn er wirklich etwas zu sagen hatte, vermittelten authentisch seine natürliche Autorität. Vor allem aber war Pater Aurelius ein universalgebildeter Freidenker, ein Sammler von Ideen und Weltanschauungen. So war im Lauf der letzten Jahrzehnte die unwahrscheinliche Situation entstanden, dass ausgerechnet ein europäischer katholischer Intellektueller – dem Klischee nach also ein typischer Eurozentrist – einer der intimsten Kenner der chinesischen Strategemkunde wurde (Strategem = List). Diese im Westen weitgehend unbekannte chinesische Wissenschaft beschäftigte sich mit den sechsunddreißig Strategemen, wie sie seit Jahrtausenden in China bekannt waren. Auslöser für Pater Aurelius’ Interesse an der Strategemkunde war seine Leidenschaft für Politik gewesen. Durch Zufall darauf gestoßen, hatte er festgestellt, dass sie durch ihre erfrischend uneuropäische Denkart überraschende Erkenntnisse brachte.
       Isler war durch den seit seiner Gymnasialzeit in Disentis bestehenden Kontakt mit Pater Aurelius ein Spezialist auf dem Gebiet geworden. Seine Kenntnisse der Strategemik hatten es ihm schon mehrmals erlaubt, realitätsnahe Analysen zu formulieren, indem er List und Täuschung politischer Akteure durchschaute und entlarvte. In nächster Zeit wollte er mit dem Pater die Frage des transatlantischen Verhältnisses strategemisch erörtern.
       Isler freute sich auf die halbe Stunde in seinem Rosengarten, die er für heute eingeplant hatte. Kurz vor der Kasse schweifte sein Blick über das Presseregal. Er blätterte mit gelangweiltem Gesichtsausdruck durch ein renommiertes Nachrichtenmagazin. War die Welt letzte Woche wieder mal simpel gestrickt , dachte er, als er es achtlos beiseite legte.
     
    Achttausendfünfhundert Kilometer weiter westlich, Stunden später. Das Saxophon erfüllte die Luft mit seinem rauen Ton, die Stahlbesen strichen locker und präzise über die Trommeln des Schlagzeugs. Die beiden schwarzen Jazzmusiker bewegten ihre Köpfe kaum merklich zur Musik. Die Sonnenbrillen im sehr dunklen Raum – Wände und Decke waren schwarz gestrichen – vermittelten ihnen ein Gefühl von Blind Boy Fuller. Zwei Dutzend Gäste ließen den Tag in dem Lokal ausklingen.
       Seit einer Stunde saß Tim ›Silk‹ Lewis an der Bar des Bourbonstreet Cafés an der Wolflin Avenue im Westen von Amarillo, Texas. Obwohl auf eintausendeinhundert Metern über Meer gelegen, im

Weitere Kostenlose Bücher