Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
werden ihre ewigen Bittgänge auch bald lästig sein. »I am sick of it«, hat ein jüdischer Lord erwidert, als ihn unlängst einer ihrer Bekannten das tausendstemal für deutsche Emigranten anschnorrte. Die Pereyros sind angenehme Leute, kunstverständig, ungeheuer gutmütig. Aber sie sind furchtbar überlaufen, und es wäre ihnen nicht zu verdenken, wenn sie es satt bekämen, sich für eingewanderte Antifaschisten einzusetzen. Auch wenn sie Juden vorzögen, wäre es ihnen nicht zu verdenken, und sie, Trautweins, sind keine Juden.
Vielleicht hätte sie sich gestern doch die ergrauenden Haare auffärben lassen sollen. Bei Pereyros muß sie gut ausschauen. Aber ihr Budget ist so ausgetiftelt: wovon soll sie die dreißig Franken abzwacken? Sie könnte sich die Haare auch selber färben. Aber es geht ihr nie mit der Zeit aus, und dann wird es doch nichts Rechtes. Übrigens hat es vielleicht auch sein Gutes, wenn sie bei Pereyros ein bißchen grau aussieht. Die Frau fängt schon an, eifersüchtig zu werden.
Ihr Sepp merkt es kaum, ob ihre Haare wieder dunkelbraun sind, wie sie sein sollen, oder am Scheitel weiß. Er hängt an ihrwie am ersten Tag, aber er hat kein Aug mehr für sie. Ihr ist es ganz recht, daß er nicht sieht, wie die Züge ihres breiten, straffen Gesichts sich verwischen und wie ihre Augen, deren Glanz berühmt war, stumpfer werden; aber ganz recht ist es ihr doch nicht.
Alt werden wir alle, aber daß es gerade jetzt mit ihrer Blüte zu Ende geht, kommt sehr zur Unzeit. In München, in Berlin hat sie, die schöne Frau, manches wiedergutmachen können, was er versiebt hat, einfach durch ein freundliches Lächeln oder durch ein bißchen Flirt mit einem Maßgebenden. Sepp ist ja ebenso unpraktisch wie begabt und verdirbt sich die besten Chancen. Wieviel Krach und Sorgen hat man durchgemacht allein schon wegen seines politischen Geredes. Wieviel hat sie herumlaufen müssen, glätten, sänftigen. Hier in Paris hätte sie es noch ganz anders nötig, zu strahlen, zu bezaubern, wenn sie für ihn etwas erreichen soll. Aber diese zwei Jahre Emigration haben sie nicht schöner gemacht. Man hat seinen Humor und läßt sich nicht unterkriegen; doch manchmal ist es schon verdammt schwer, die Leute nicht merken zu lassen, daß man ihnen lieber die Zähne zeigte als ein freundliches, damenhaftes Lächeln.
Gut, daß Sepp die veränderten Verhältnisse nicht tragisch nimmt. Er spürt das Elend des Alltags nur dann, wenn es ihn unmittelbar anrührt. Der gesellschaftliche Abstieg ist ihm »Wurst«, äußern Ehrgeiz kennt er nicht. Schon in München hat er sich darüber lustig gemacht, wenn man ihn mit seinem Professorentitel ansprach.
Da liegt er, das hagere, knochige, unrasierte Gesicht ihr zugekehrt, ein bißchen lächelnd, vergnügt. Wie sie ihn kennt, fühlt er sich vielleicht in Paris sogar glücklicher als in Deutschland; hier hat er weniger »Betrieb« und mehr Zeit für seine Arbeit, für seine Musik. Sie versteht das durchaus, sie glaubt an seine Musik und ist überzeugt, daß man das tun soll, wofür man geschaffen ist, auch wenn es materiell nicht lohnt. Aber ein Jammer ist es doch, daß dieser begabte Mensch, ihr Sepp, jetzt vermutlich dazu verurteilt bleibt, für die Schublade zu arbeiten.In Deutschland hatte er sich durchgesetzt, auch beim Publikum; die »Oden des Horaz« wurden in allen Konzertsälen gesungen. Man hat dort den »Kulturbolschewisten« scharf angegriffen, aber er hat ein paar fanatische Freunde gehabt, sehr einflußreiche darunter, zum Beispiel den Musikdirektor Riemann. In Deutschland hätte man auch »Die Perser« herausgebracht, in einer großartigen Aufführung, wahrscheinlich bei den Philharmonikern. Hier muß man froh sein, wenn man mit Ach und Krach eine zweifelhafte Rundfunkaufführung durchdrückt.
Sie findet es liebenswert, und es imponiert ihr, wie gleichgültig er die Veränderung ihrer Lage hinnimmt, aber es fällt ihr schwer, diesen Gleichmut ganz zu verstehen. Vielleicht kommt es daher, daß Sepp eine dürftige Jugend gehabt hat, während sie in heiterer, behaglicher Umgebung groß geworden ist. Wenn sie von dem Abstieg spricht, den sie erlitten haben, dann hört er ihr freundlich zu, doch wie ein Erwachsener einem Kind. Findet er es wirklich nicht entwürdigend, wenn ein Sepp Trautwein Schülern der Pariser Musikakademie gegen ein miserables Honorar die Aussprache ihrer deutschen Gesangpartien beibringen muß? Und daß er es noch als Gnade und Wohltat empfinden muß, wenn
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