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Exil

Exil

Titel: Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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stehe auf. Stefano lacht.
    »Herrgott, Samantha, komm schon. Du hast es versprochen.«
    »Davon habe ich nichts gesagt.« Ich bleibe mit verschränkten Armen stehen. Natürlich habe ich das nicht versprochen – Wunschdenken. »Zünd mir die Zigarette an.« Wieso kann er nicht einfach ein bisschen nett zu mir sein? Das brauche ich. Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann. Vater ist ständig auf seinen sogenannten Geschäftsreisen, und Mutter geht in Tanga allmählich vor die Hunde – und wenn sie zusammen sind, streiten sie sich. Alison ist in England, Mick in Deutschland. Er wusste, wie man es macht. Er hat mich gestreichelt, mir nette Dinge gesagt, mich erregt. Stefano ist ein Trottel.
    Das Zischen des Streichholzes ist weit zu hören. Ich schaue auf Stefano, der im Schein des brennenden Schwefels hockt. Er hat sich die Hose wieder hochgezogen. Jetzt hält er die Glut an die Zigarette und schüttelt das Streichholz aus, die Dunkelheit kehrt zurück. Konnte man den Lichtschein sehen? Wenn jetzt ein Lehrer erscheint, bekomme ich Hausarrest; ich habe bereits eine Verwarnung. Was dann? Aber vermutlich sieht die Glut eher aus wie ein Leuchtkäfer.
    »Hier.« Er reicht mir die Zigarette und schirmt die Glut mit der hohlen Hand ab. Stefano, denke ich, Stroh im Arsch und Stroh im Kopf, aber er sieht wirklich gut aus: kompakt, stark, kohlschwarze Haare. Er geht in die Klasse über mir. Die Dunkelheit bewegt sich. Schritte. Ich lasse mich zu Boden fallen, behalte den Rauch im Mund. Stefano ist leise, legt sofort eine Hand auf die Innenseite meines Oberschenkels; jetzt kann ich nicht protestieren und mich nicht bewegen, sonst würden wir gehört. Vorsichtig stoße ich den Rauch aus. Die Dunkelheit ist undurchdringlich. Ich sehe nur die Gestalten, die sich in der Ferne im Licht bewegen. Die Schritte nähern sich.
    »Er fragt ständig, ob wir zusammen gehen wollen«, sagt eine Stimme. Truddi. Wir wohnen im selben Zimmer, sie geht in die Parallelklasse, aber wir mögen uns nicht besonders.
    »Aber du findest ihn doch gut, oder?«, sagt eine andere Mädchenstimme. Diana aus der Parallelklasse.
    »Ja, schon, aber er kann mich doch nicht fragen, ob wir zusammen gehen wollen, er ist doch schon mit Samantha zusammen«, antwortet Truddi. Stefano zieht seine Hand von meinem Oberschenkel.
    »Samantha ist so eine Nutte«, sagt Diana.
    »Warte mal«, unterbricht sie Truddi. »Hier riecht’s nach Rauch.«
    »Verschwindet«, presse ich heraus.
    »Oh, Entschuldigung.« Diana und Truddi kichern, als sie sich entfernen. Ich glaube nicht, dass sie meine Stimme erkannt haben. Ich stehe auf und ziehe noch einmal an der Zigarette. Dann hole ich aus und gebe Stefano irgendwo einen Tritt.
    »Au, verflucht, Samantha!«, stöhnt er. »Blöde Psychopathin.«
    »Schwein!«, erwidere ich, werfe die Zigarette auf ihn und gehe. Ich spucke über die Schulter. Die Tränen fließen. Muss einen Umweg hinter das Kijani-Haus machen, damit ich nicht vom Fußballplatz auf Kiongozi zugehe. Truddi und Diana könnten dort sein, sie würden ahnen, dass sie meine Stimme auf dem Platz gehört haben. Wir müssen bald auf den Zimmern sein.
    »Hallo, Samantha«, begrüßt mich Truddi zuckersüß. »Wo kommst du denn her?«
    »Das geht dich gar nichts an.« Ich schiebe mich an ihr vorbei und gehe in unser Zimmer.
    Gretchen liegt auf ihrem Bett und liest, sie liest immer. Gretchen kommt aus Deutschland, sie trägt eine dicke Brille und ist klug, blass und bescheiden bis zur Selbstaufgabe.
    »Hallo«, grüße ich und greife nach meiner Zahnbürste.
    »Hast du dich mit Truddi gestritten?«
    »Ein bisschen.«
    »Wieso könnt ihr euch nicht vertragen?«
    »Ach, sie ist einfach so … unglaublich perfekt.«
    »Das kann man aber so nicht sagen, Samantha.«
    »Ich weiß, aber … ich könnte einfach nur kotzen, wenn ich sie sehe.«
    Am Sonntag bleibe ich in unserem Zimmer und warte darauf, dass Stefano jemanden bittet, mich zu holen, damit er sich entschuldigen kann. Denn die Jungen dürfen nicht in die Mädchenhäuser. Aber es kommt niemand.
    Ebenezer
    Von sieben bis acht Uhr abends müssen wir in unseren Zimmern Hausaufgaben erledigen. Ich erkläre unserem Hausboss Minna, dass ich in die Bibliothek muss, um für eine schriftliche Aufgabe in Gemeinschaftskunde etwas nachzusehen. Wenn ich nicht auf dem Zimmer arbeite, notiert es Minna zunächst in einer Liste, dann wird in der Bibliothek festgehalten, dass ich tatsächlich dort gewesen bin. Aber wie ich herausgefunden habe,

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