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Exil

Exil

Titel: Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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vergleichen sie die Listen nie – ich bin jedenfalls noch nie erwischt worden.
    Auf den Gängen zur Bibliothek ist niemand. Ich nehme den Breezeway, den Quergang zwischen den drei Trakten mit den Klassenzimmern, bleibe hinter der Ecke des letzten Trakts stehen und zünde mir eine Zigarette an. Verberge die Glut in der hohlen Hand, als ich Schritte auf den trockenen Blättern höre.
    »Nani?«, fragt eine Stimme – wer? Es ist Ebenezer, einer der Wachleute.
    »Ich bin’s, Samantha«, antworte ich. »Komm, rauch ’ne Zigarette mit.« Er stellt sich neben mich in die Dunkelheit, ein scharfer Geruch nach altem Schweiß und Feuerholz.
    »Du bist sehr schlimm«, sagt er und grinst, seine Zähne leuchten in der Dunkelheit auf.
    »Ja«, sage ich und gebe ihm eine Zigarette, die er an meiner Glut anzündet. Wir unterhalten uns gedämpft über seine Familie und seine Felder. Ebenezer ist Soldat gewesen, 1979, während der Invasion Tansanias in Uganda. Als Nachtwache trägt er eine Massai-Keule im Gürtel, an der Schulter hängt ein Bogen, auf dem Rücken ein Köcher mit Pfeilen.
    »Triffst du eigentlich jemand mit den Pfeilen, wenn es dunkel ist?«
    »Vielleicht treffe ich. Vielleicht auch nicht. Aber der Dieb bekommt Angst, weil die Spitzen der Pfeile in Gift getaucht sind.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich«, erwidert Ebenezer. »Wenn ich einen Dieb nur in den Arm treffe, kann er noch weglaufen, aber das Gift wird den Arm verfaulen lassen, und der Arzt muss ihn abschneiden.«
    »Ist es tödlich?«
    »Vielleicht, wenn ich ins Herz treffe«, meint Ebenezer.
    »Ich habe keine Lust mehr auf Schule«, sage ich.
    »Es ist wichtig, in die Schule zu gehen.«
    »Ich will hier weg.«
    »Das ist schade. Wenn du nicht mehr da bist, können wir keine Zigaretten mehr zusammen rauchen.«
    »Okay«, lenke ich ein. »Dann bleibe ich noch ein bisschen.« Es ist wichtig, mit den Wachleuten gut auszukommen, damit sie nicht petzen, wenn man nachts unterwegs ist. Aber ich will nirgendwohin. Nach der Hausaufgabenstunde bleibe ich im Kiongozi-Haus – im Moment ertrage ich Stefano nicht.
    Respekt
    Im Kunstunterricht sollen wir auf unsere Hand gucken und sie mit der anderen zeichnen, aber ohne aufs Papier zu schauen. Vollkommener Schwachsinn.
    »Können wir nicht nur Skizzen zeichnen?«, frage ich Miss Schwartz.
    »Zeichne deine Hand, Samantha, das ist eine sehr wichtige Übung für die Auge-Hand-Koordination.«
    »Skizzen sind aber spannender.«
    »Da wirst du noch ein paar Jahre warten müssen.«
    »Skizzen, wovon?«, will Svein wissen, einer der norwegischen Leimschnüffler.
    »Nacktmodelle«, sage ich, schiebe die Brust vor und ziehe den Ausschnitt herunter, so dass der Brustansatz zu sehen ist. Von den indischen Mädchen kommen missbilligende Geräusche, die Jungen glotzen alle. Ein paar Mädchen aus den höheren Klassen haben mit uns gemeinsam Kunstunterricht, auf höherem Niveau. Eine von ihnen heißt Parminder. Sie sagt irgendetwas auf Hindi, und die anderen indischen Mädchen nicken. Sie ist ihre Anführerin, denn sie ist die Hübscheste – total feminin, Zöpfe bis zum Arsch.
    »Willst du mir irgendetwas sagen, Parminder?«, erkundige ich mich.
    »Tsk«, schnalzt sie.
    »Es ist mein Körper, und damit kann ich machen, was ich will«, erkläre ich.
    »Ich weiß, was du brauchst«, sagt Gulzar leise – ein indischer Bursche, der eine Klasse wiederholen muss, weil er nicht ganz richtig im Kopf ist. Seine Zwillingsschwester Masuma geht in die Klasse über uns. Gulzar greift sich unter dem Pult in den Schritt.
    »Du solltest von etwas Großem und Harten durchgepflügt werden, ich hab so etwas für dich.«
    »Halt’s Maul, du schleimiger Idiot.«
    »Wie viel willst du dafür haben? Für ’ne schnelle Nummer?« Gulzar hört nicht auf.
    »Was sagst du da?«
    »Was ist bei euch los?« Jetzt ist auch Miss Schwartz aufmerksam geworden.
    »Er soll aufhören, dreckiges Zeug zu mir zu sagen.«
    »Samantha, du bist selbst schuld«, sagt Miss Schwartz.
    »Das heißt aber nicht, dass er mit mir reden kann, als wäre ich eine Hure.« Die anderen hören auf zu arbeiten.
    »Redet anständig miteinander«, fordert Miss Schwartz uns auf. Sie hat Gulzar nicht gehört.
    »Er hat mich gefragt, wie viel ich haben will, um mit ihm zu ficken.« Miss Schwartz seufzt. Ich bin noch nicht fertig: »Er glaubt, Frauen seien seine Sklaven. Seine Mutter und seine Schwestern sollen ihm von morgens bis abends den Arsch abwischen. Und er glaubt, ich wäre eine Hure, die er

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