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Exil

Exil

Titel: Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Ejersbo
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ruft Victor aus dem Schlafzimmer.
    »Leck mich!«, sage ich leise. Ich höre, wie er sich dort drinnen bewegt.
    »Scheiße, ich hab das schon verkauft!«, ruft Victor.
    »Ist mir doch scheißegal.«
    Victor ist ein Verlierer. Zwei Linien sind auf der Tischplatte gezogen, daneben liegt bereits ein zusammengerollter Hundert-Schilling-Schein. Ich ziehe die erste Bahn in die Nase. Hinter der Stirn brennt es wie Eis. Wieso bin ich immer mit solchen Arschlöchern zusammen? Ich höre, wie er sich anzieht – als ob es etwas Neues zu sehen gäbe. Seine Stimme klingt angespannt. »Das ist zu stark für dich, Samantha!«, ruft er.
    »Genau wie der Scheiß, den ich mit dir erlebt habe!«, rufe ich zurück, wobei mein Oberkörper zittert. Ich blicke auf. Victor steht in der Tür und hat sich ein Laken umgelegt. Angela steht direkt hinter ihm, nackt, mit den Händen auf seiner Schulter.
    »Nimm nicht noch mehr«, sagt er.
    »Nimm es, zermansch dir dein Hirn«, sagt Angela.
    »Das habe ich bereits getan«, erwidere ich und beuge den Kopf über den zusammengerollten Schein, halte ihn über die zweite Bahn und schnupfe. Nadelspitzen in meinem Hirn, der Hals füllt sich mit flüssigem glasklarem Feuer, das zu scharfkantigen Scherben gerinnt und in einer schreienden Vogelschar explodiert. Das ist kein … Kokain. Krämpfe durchzucken meinen Hals. Heroin. Ich lehne mich auf dem Sofa zurück. Etwas Feuchtes, Warmes kommt aus der Nase. Führe meine Hand dorthin, Flüssigkeit. Sehe sie mir an. Rot. Blut. Läuft mir über die Lippen. Beuge den Kopf nach vorn. Die Blutgefäße in der Nase explodieren, in der Stirn. Er muss es mit fein zermahlenem Glas verschnitten haben, damit es richtig kratzt. Zu viel. Falsch. Kunstdünger. Chemikalien. Blutroter nebliger Schimmer über meinen Augen. Die Ohren nässen. Es strömt über meine Brüste, der Stoff klebt an der Haut. Läuft bis zum Becken, wird vom Slip aufgesogen, färbt den Stoff. »Nein.« Das Geräusch aus meinem Hals ist halb erstickt, verdickt.
    »Oh, fuck!« Ein Geräusch durch eine Lage dehydrierter Quallen am Strand. Victor schüttelt mich. Brüllt lautlos. Angelas stummer Schrei. »Sie hat keinen Puls mehr!«, ruft er ganz nah bei mir. Weiche Glieder, als er mich umdreht und auf dem Sofa ausstreckt, seinen Mund an meinen legt, mein Blut schmeckt, mich beatmet.
    »Komm schon!«, sagt er. Nein. Vorhin – jetzt nicht mehr. Er schlägt auf mein Herz. Ja. Mein Oberkörper bäumt sich spastisch auf. Aber ich habe das Gefängnis des Fleisches schon verlassen. Stehe im Raum; wer wird sich eine Zigarette anzünden? Victor oder Angela? Ich kann es nicht mehr. Und sie hat sich im Schlafzimmer bereits halb angezogen und versucht, in ihre Sandalen zu schlüpfen; aber es gelingt ihr nicht, sie ist zu hektisch – sie streift sie ab, packt sie mit den Händen, läuft hinaus.
    »Wo willst du hin?«, ruft Victor ihr nach, seine Stimme überschlägt sich. Ein wimmerndes Geräusch ist von Angela zu hören, bevor sie die Tür hinter sich zuschlägt.
    »Fuck!«, flucht Victor.
    Das glaube ich nicht, mein Schatz. Er richtet sich auf, das Laken fällt herunter, er sieht sich um. Jetzt kann ich meine Leiche sehen, das Blut aus der Nase, den Augen, den Ohren, auf den verschmierten Lippen von Victor, auf der Brust, über dem Bauch, auf dem Slip. Victor packt meine Schultern und setzt mich im Sofa auf. Er dreht sich um und geht über den Flur ins Schlafzimmer, zieht sich die Unterhose an und wischt sich den Mund ab, an dem mein getrocknetes Blut klebt. Ich kehre zurück in meinen Körper auf dem Sofa, meine Körpertemperatur sinkt. Victor ist im Schlafzimmer. Ich glaube, er packt. So weit kann ich nicht sehen. Das Blut in meinen Adern fließt nicht mehr, es beginnt zu gerinnen. Victor läuft an mir vorbei, dreht sich um und wirft einen letzten Blick auf mich. Er schüttelt fast unmerklich den Kopf und verlässt das Haus durch die Küche und die Hintertür. Ich höre, wie sich der Schlüssel dreht, kurz darauf wird das Motorrad gestartet, und er fährt davon. Ich bin allein. Das Blut gerinnt – auf meiner Haut, in meinen Adern. Was ist das? Das Geräusch eines Land Rovers? Jumas Stimme draußen. Vater. Ein Schlüssel in der Tür. Vater tritt ein. Bleibt stehen.
    »Samantha«, sagt er, mit rauer Stimme. Hinter ihm Christian – das Herz wird schwarz. Er sieht mich, ein Ruck durchfährt ihn. Vater kommt zu mir und fühlt den Puls, seine Finger sind warm. Christian erbricht sich an der Tür.
    »Mach die Tür

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