Exil
du schleichst doch auch nur herum und pumpst schwarze Löcher wie alle anderen. Du hast keine Chance bei mir.«
»Samantha, irgendjemand müsste dir mal richtig den Arsch versohlen.« Mick dreht sich um und geht wieder unter das Halbdach. Ich bleibe in der sengenden Sonne stehen. Er beugt sich über den Motor. Fuck. Ich setze mich ins Taxi, der Plastikbezug des Sitzes ist glühend heiß, ich muss an den Rand rutschen.
»Fahr schon«, sage ich zu dem Fahrer. Die letzte Möglichkeit ist Christian. Ich könnte verschwinden, mit ihm nach Moshi gehen. Bestimmt bekommt er etwas Geld von seinem Vater. Dann wäre ich fort. Sie würden nach mir suchen, würden traurig sein und vielleicht begreifen, dass sie mich wie ein Möbelstück behandelt haben und sich eine bessere Lösung überlegen müssen. Aber das würde das Unumgängliche bloß hinausschieben. Außerdem habe ich die Freundschaft vor zweieinhalb Jahren auf dem Internat von Moshi zerstört, mit Sex. Christian würde nur daran denken, wie er mich rumkriegen könnte. Dazu kommt, dass er unfähig ist. Er ist nach Europa gegangen und dort nicht zurechtgekommen. Aber er findet sich auch hier nicht zurecht. Er ist mit dem bescheuerten Traum zurückgekommen, sich in Tansania eine Existenz aufzubauen, ohne dafür gerüstet zu sein. Er ist wie ich. Wir sind gleich.
Flucht
Das Taxi nähert sich Valhalla, dem Wohngebiet der Skandinavier. Es ist von einer hohen Mauer umgeben, auf der Mauerkrone ragen eine Reihe V-förmiger Flacheisen einen halben Meter in die Luft; dazwischen ist Stacheldraht verlegt. So sieht es inzwischen überall in Msasani aus, die Kriminalität ist seit meiner Kindheit explodiert.
Vater behauptet, es läge an der Invasion in Uganda 1979, als Tansanias Heer Idi Amin absetzte. Die Soldaten bekamen keinen Lohn, nur das, was sie klauen konnten. Als sie wieder nach Hause geschickt wurden, machten sie einfach so weiter. Wir fahren zum Tor und dem Wächterhäuschen. Der Wachposten lässt uns hinein, ich bin ja weiß. Die Straßen ziehen sich zwischen den europäisch aussehenden Reihenhäusern, deren Gärten von blühenden Hecken eingefasst sind. Vor Nummer 28 steige ich aus, eine uniformierte Wache geht die Straße entlang. Ich bitte den Fahrer zu warten. Klingele. Das Hausmädchen öffnet. Der Boden ist mit dunklem Parkett belegt, düster. Christian kommt mir auf dem Flur entgegen. Er wohnt bei einem Kollegen seines Vaters, da Jarno nach Finnland fliegen musste.
»Hey«, grüße ich. »Ich muss mal dringend aufs Klo.« In der Toilette sind die Kacheln grau, es ist eng und kalt – nordischer Stil. Ich bleibe eine Weile auf der Toilette sitzen. Lasse das Wasser laufen. Wasche mir die Finger. Trockne mich ab. Gehe hinaus.
»Möchtest du was trinken«, fragt Christian und hält mir ein Carlsberg hin.
»Ich muss gleich wieder los, das Taxi wartet«, antworte ich mit einer Handbewegung in Richtung Straße.
»Ah ja, ich dachte …« Er hält inne. Zum Teufel. Aber ich kann doch nicht einfach …
»Ich muss packen und so. Ich habe wirklich keine Zeit, Christian.« Er sieht mich an. »Es tut mir leid«, füge ich hinzu. Er ist nicht mehr so leicht zu durchschauen wie früher, aber ich kenne diesen toten Gesichtsausdruck von mir selbst. Dahinter ist er in kleine Teilchen zerplatzt.
»Aber ich esse mit meinem Vater zu Abend, bevor er mich zum Flughafen fährt. Du könntest kommen und mit uns essen …?«
»Glaubst du, er hält das für eine gute Idee?«
»Nein, aber er hat sich mir gegenüber sowieso schon wie ein Schwein benommen. Komm mit – dann muss er sich wenigstens nicht wiederholen.«
»Okay.«
»Oysterbay Hotel. Um acht.« Ich umarme ihn, küsse ihn auf die Wange. Er hebt nicht einmal die Arme. Steht still.
»Bis dann, um acht«, wiederhole ich und gehe zu meinem Taxi.
Gegenstände
Warum soll ich dieses Zeug packen? Ich kann es in England doch nicht anziehen – zu dünn, zu fadenscheinig, zu leger, zu afrikanisch. Ich nehme ein paar kangas , die ich gekauft habe, und lege sie in den Koffer. Kangas in England? Bind dir morgens einen anstelle eines Hausmantels um, und du bekommst innerhalb einer Woche eine doppelseitige Lungenentzündung. Die Makonde-Skulptur vom Fensterbrett, ich lege sie obenauf; ich muss etwas mitnehmen, das mich an Zuhause erinnert. Ich fange an zu weinen, lautlos, denn Alison geht im Wohnzimmer vorsichtig auf und ab. Nun kommt sie herein.
»Samantha«, sagt sie und umarmt mich von hinten. »Kleine Samantha.« Sie schaukelt
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