Exil
antworte ich.
»Jungen?«
»Ich spiele ein bisschen mit ihnen«, gebe ich lachend zur Antwort, denn ich möchte ihr nicht von Stefano erzählen; und ich will auch Victor nicht erwähnen, denn sie würde mir erklären, es sei lächerlich. Und die Sache mit Christian war dumm; das braucht mir Alison gar nicht erst zu sagen, das weiß ich selbst.
Wir tauschen, auf dem schlechten Stück der Straße fahre ich; ich bin die bessere Motorradfahrerin.
Die Fahrt dauert sechs Stunden, wir sind erst in der Dämmerung zu Hause. Meine Eltern kommen heraus, und Vater starrt Alison an.
»Woher hattest du das Geld für das Ticket?«, will er wissen.
»Ist doch egal«, entgegnet Alison. »Schließlich bin ich nicht erwischt worden.«
»Nicht von deiner Tante, oder?«, erkundigt sich Mutter.
»Nein, natürlich nicht.«
»Was hast du getan?« Wieder fragt Vater.
»Bist du sicher, dass du es wissen willst?«
»Erzähl schon.«
»Ich habe einen Kiosk überfallen.«
»Wie?«
»Sturmhaube und Großvaters Luger.«
»Alison!«, entfährt es Mutter.
»Ich müsste dich durchprügeln«, erklärt Vater kopfschüttelnd und dreht sich um. Als er geht, sehe ich allerdings seinen Gesichtsausdruck, das kleine Lächeln. Bei mir wären sie überzeugt, dass ich mich verkauft hätte. Mutter starrt Alison an.
»Das hast du doch nicht wirklich getan, oder?«
»Nein, ich habe getanzt.«
»Getanzt?«
»Ja. In einem Stripclub.«
»Alison!«
Schwarze Löcher
Was soll Alison in Tansania anfangen ohne Geld, ohne Mann und ohne eine richtige Ausbildung?
»Ich finde schon was«, sagt sie, als wir mit den Alten zu Abend essen.
»Und was ist, wenn ich dich nicht versorgen will?«, fragt Vater. Natürlich wird er es tun. Sie könnte im Hotel arbeiten, denn Mutter hat die Zügel zugunsten von Gin und Tonic schleifen lassen.
Wir gehen in der Dunkelheit gemeinsam schwimmen. Hinterher sammele ich Zweige für ein Feuer. Ich frage: »Was willst du machen?«
»Einen Mann finden, der gleichzeitig ein Mensch ist.«
»Und wo gibt’s so einen?«
»Keine Ahnung.«
»In England?«
»Nein, die sind kreuzlangweilig.«
»Unter den Eingeborenen?«
»Ich will mich doch nicht nur vergnügen«, erwidert Alison.
»Das Mischlingsmodell: Ricardo?« Er wohnt in Tanga und ist Mulatte; der Vater kam als Weißer nach Tansania, als 1975 in Mosambik die Portugiesen herausgeschmissen wurden.
»Er ist ein Idiot«, protestiert Alison. Ich lache. Ricardo hat letzten Sommer ständig angerufen, um Alison auszuführen. Sie hielt den Telefonhörer in der Hand und hat auf einen Zettel geschrieben, dass ich die Musik aufdrehen oder irgendetwas anstellen solle, damit sie auflegen konnte. Alison lächelt mich boshaft an. »Du kannst ihn herzlich gern haben«, sagt sie und seufzt. »Er säuft wie ein Loch und weiß selbst nicht so genau, welche Farbe er eigentlich hat. Seine Mutter ist eine Hexe. Man kann bei ihnen nicht mal eine Tasse Tee trinken, ohne dass sie allen möglichen Scheiß hineinkippt, damit man sich in ihren Sohn verliebt. Ich habe gesehen, wie sie auf dem Hof den Staub aus meinen Fußspuren aufgesammelt hat, um ihn mit irgendeiner schwachsinnigen Hexennummer zu beschwören.«
»Aber … wie willst du einen Mann finden? Hier? Die meisten pumpen in schwarzen Löchern.«
»Ja. Aber ich kann auch ein paar Dinge. Mich unterhalten zum Beispiel. Nicht alle Männer wollen eine tansanische Hure zur Frau.«
»Hast du jemanden im Visier?«
»Nein. Aber Vater hat vorgeschlagen, dass ich das Hotel wieder zum Laufen bringe, damit er es für einen guten Preis verkaufen kann. Ein Jahr habe ich ihm versprochen.«
»Verkaufen … und wo bleibe ich dann?«
»Ich weiß es nicht, Samantha.«
»Aber das ist mein Zuhause.«
»Du bist doch sowieso nicht gern hier. Und wenn du mit der Schule fertig bist, was willst du dann machen?« Die Frage führt zu einem Kälteschauer. Ich spüre nur, wie alles zusammenbricht. Wenn sie das Hotel verkaufen, was dann? Wo soll ich wohnen? Ich bin sprachlos.
»Es gibt immer noch das Haus in Dar«, sagt Alison. Vater besitzt ein kleines Haus in der Nähe des Drive-in-Kinos in Daressalaam, aber das ist total heruntergekommen. Im Augenblick wohnt Juma dort, die rechte Hand meines Vaters. Was soll ich da?
»Und wo sollen die Alten wohnen?«
»Meinst du nicht, dass sie lange genug zusammengelebt haben?«
»Na ja … Mutter meint, ich sollte in zweieinhalb Jahren nach England gehen, nach der zehnten Klasse. Vielleicht würde sie mitkommen. Aber
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