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Existenz

Existenz

Titel: Existenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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dass sein wahrer Körper Tausende von Kilometern entfernt durchs All schwang.
    Die Illusion fühlte sich perfekt an. Gerald war die Bola. Eine dreißig Kilometer lange leitende Faser, die sich langsam alle dreißig Minuten drehte, oder fünfmal während eines längeren Umlaufs. An beiden Enden dieses Strangs befanden sich kompakte Cluster aus Sensoren ( meine Augen ), Kathoden- Emitter ( meine Muskeln ) und Greifer ( meine zupackenden Hände ), die derzeit mehr Teil von ihm zu sein schienen als alles aus Fleisch. Sie fühlten sich realer an als die fleischigen Teile, mit denen er geboren war und die in einem Kokon weit unten schwebten, unweit der großen, zernarbten Raumstation. Jener ferne menschliche Körper erschien ihm fast wie ein Hirngespinst.
    Wie ein Jäger mit seinem treuen Hund schwiegen Mann und Affe während der finalen Annäherung, als könnte ein Geräusch die Beute verscheuchen, die in ihrem Visier glitzerte.
    Das Ding hat einen seltsamen Glanz, dachte Gerald, als die Telemetrie eine schnell schrumpfende Distanz anzeigte. Nur noch ein paar Kilometer, bis sich der komplexe Tanz von zwei Umlaufbahnen und die Drehung des Strangs vereinten. Gerald kam sich vor wie ein Artist, der sich anschickte, seine fliegende Partnerin aufzufangen. Und danach …
    … würde sich das Bewegungsmoment der Bola durchsetzen, das kleine Stück Raumschutt mitnehmen und sich dadurch verändern, wodurch der Strang eine veränderte Bewegung bekam, ein anderes Ziel. Eine halbe Drehung später, wenn das Ende der Bola den erdnächsten Punkt erreichte, würde der Greifer loslassen und das Trümmerstück nach Westen werfen, hinunter in die Atmosphäre, wo es verglühen sollte.
    Der leichte Teil. Bis dahin würde Gerald im abgeschirmten Mannschaftsraum der Station sitzen und Kaffee trinken. Aber jetzt …
    Das ist keine abgeworfene Raketenstufe, dachte er, während er das Glitzern betrachtete. Es ist auch kein Frachtmodul-Fragment, kein Fetzen von einem Treibstofftank und kein Urin-Eiszapfen, von einer bemannten Mission über Bord geworfen. Inzwischen wusste Gerald, wie gewöhnlicher Raummüll – von archaischen Antriebsstufen und Satelliten bis zu verlorenen Handschuhen und Werkzeugen – das Sonnenlicht reflektierte, mal heller, mal dunkler, wie bei einem Versteckspiel ganz besonderer Art. Aber dieses Ding …
    Selbst die Farben stimmten nicht. Zu blau. Zu viele Arten von Blau. Und das reflektierte Licht veränderte sich kaum! Als hätte das Objekt weder Kanten noch gerade Flächen. Von Hachi kam ein leises und besorgt fragendes Heulen. Wie sollte man fest zugreifen, wenn man nicht wusste, wo sich die Ränder befanden?
    Als die relative Geschwindigkeit gegen null tendierte, nahm Gerald Anpassungen vor, indem er mit den Kathoden-Emittern an beiden Kabelenden Elektronen spuckte. Auf diese Weise schuf er ein Drehmoment gegen das planetare Feld, ein Manövriertrick ohne Raketen oder Treibstoff. Ideal für einen langsamen, geduldigen Job, der ohne großen Aufwand erledigt werden musste.
    Jetzt machte sich Hachi nützlich. Der kleine Affe streckte sich wie ein Bündel Spaghetti und übernahm die letzten Korrekturen mithilfe eines Ins tinkts, der seiner Spezies über Jahrmillionen hinweg dabei geholfen hatte, im Dschungel von Ast zu Ast zu springen. Gerald nahm sich den Greifer vor und wusste, dass es keine zweite Gelegenheit zum Zugreifen geben würde.
    Langsam und geduldig … bis auf den letzten, hektischen Moment … wenn man sich wünscht, man hätte etwas Schnelleres als Magnetismus. Wenn man sich wünscht …
    Da war das Ding, direkt voraus. Das Was-auch-Immer.
    Die Kamera der Bola raste dem Rendezvous entgegen und erspähte etwas, das glänzte und oval zu sein schien. Blasse Bläue ging davon aus und pulsierte wie etwas Ungeduldiges.
    Geralds Hand war der Greifer und streckte sich dem Objekt entgegen.
    Nicht zusammenzucken , ermahnte er sich selbst, als er nach dem seltsamen Ding griff, das in einer hohen Umlaufbahn um die Erde raste.
    Entspann dich. Es tut nie weh.
    Doch diesmal tat es weh, auf eine sonderbare und verwirrende Art.

Die vielen Pfade der Entropie
    Hasst uns das Universum? Wie viele Fallgruben liegen vor uns und warten darauf, unsere eingebildeten Molekülhaufen zu zerreißen und wieder in gedankenlosen Staub zu verwandeln? Sollen wir sie zählen?
    Männer und Frauen fühlten sich immer bedroht. Von Ungeheuern, die durch die Dunkelheit schlichen. Von tyrannischen Herrschern, gewalttätigen Nachbarn oder launischen

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